Dienstag, 7. Mai 2019

Fehltritt

Esther Perel: Die Macht der Affäre. Warum wir betrügen und was wir daraus lernen können. 384 Seiten. 22.-€. Harper Collins Germany

Esther Perel, gebürtige Belgierin, ist eine bekannte Paartherapeutin. In ihrer psychotherapeutischen Praxis hat sie mit hunderten Paaren gearbeitet, deren Beziehung durch Untreue erschüttert wurde. In ihrem Buch erläutert sie kompetent die Ursachen, die negativen Folgen und Chancen von Affären. Schon die Einteilung des Buches zeigt, wie gründlich sie sich den einzelnen Aspekten widmet: Teil I: „Die Voraussetzungen“, Teil II: „Die Konsequenzen“, Teil III: „Bedeutung und Beweggründe“, Teil IV: „Und danach?“ Angenehm ist, dass sich die Autorin jeder moralischen Wertung enthält. Stattdessen betrachtet sie die Paare, deren Verhalten sie in den zahlreichen Beispielen beschreibt, mit großer Empathie. Ein kluges, informatives Buch, das nicht nur für Betroffene interessant ist. Doch besonders für sie kann das darin enthaltene psychologische Wissen heilsam sein.  

Freitag, 3. Mai 2019

Aufgeweckt!

Dr. Libby Weaver: Energiegeladen statt dauermüde. Energiefresser erkennen und ungeahnte Kraftquellen freisetzen. 345 Seiten. 16,99 €. Trias
Wohl jeder von uns kennt das Gefühl von Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Erschöpfung. Kritisch ist es allerdings, wenn das zum Dauerzustand wird.
Dr. Libby Weaver, Biochemikerin und Ernährungsexpertin, zeigt die verschiedenen Ursachen dafür auf. Unser Energieniveau ist abhängig vom Hormon- und Nervensystem, von der Verdauung, den Organfunktionen und unserer inneren Einstellung. Ist auch nur eines davon im Ungleichgewicht, wirkt sich das negativ aus. Doch diese Systeme lassen sich durch eine bewusste Lebensführung beeinflussen. Dazu gehören richtige Ernährung, Bewegung, frische Luft und Entspannung. So weit, so bekannt. Doch Dr. Weaver verkündet keine Banalitäten, sondern belegt wissenschaftlich und detailliert, was warum und wie funktioniert. Dabei erspart sie den LeserInnen nicht die biochemischen Hintergründe. Obwohl  auch für Laien verständlich formuliert, setzt das Interesse an den Vorgängen im Körper voraus. Macht man sich die Mühe, wächst das Verständnis für die Zusammenhänge – mit dem Effekt, dass man weiß, was man selbst tun muss, um mehr Energie zu bekommen.
Empfehlenswert für alle, die sich zu den „mündigen Patienten“ zählen und fundierte Hinweise schätzen.      

Sonntag, 28. April 2019

Teurer Irrtum

Dan Ariely und Jeff Kreisler: Teuer ist relativ. Warum wir nicht mit Geld umgehen können.
350 Seiten. 20,00 €. Econ

Wir glauben tatsächlich, wir könnten mit Geld umgehen. Vielleicht, weil wir einen Haushaltsplan führen und keine Schulden machen. Doch das ist ein Irrtum. Dan Ariely, Psychologie-Professor, und Jeff Kreisler, Comedian, weisen die allgemeine Unvernunft der Menschen in puncto Finanzen nach. Humorvoll und mit vielen Beispielen entlarven sie unbewusste  Einstellungen, die uns letztlich teuer zu stehen kommen. Etwa, dass wir den hohen Preis einer Weinflasche zum Dinner in einem noblen Restaurant anstandslos bezahlen, während wir den gleichen Tropfen im Discounter zu diesem Preis niemals mitnehmen würden. Das ist halt eine Frage der Relativität. Oder: Wenn wir einen Geschenkgutschein bekommen, kaufen wir damit Dinge, für die wir nichts von unserem Gehalt ausgeben würden. Weil wir in dem Fall nicht an den Geldwert denken, sondern in unterschiedlichen Kategorien.
Teil I des Buches („Was ist Geld?“) führt in die Materie ein: Teil II („Warum unsere Beurteilung des Werts wenig mit dem Wert zu tun hat“) listet ausführlich sämtliche Fallen auf, in die wir gerne tappen: Teil III („Und jetzt? Bauen wir uns ein Haus auf dem Fundament unserer Denkfehler.“) hilft uns aus der Falle heraus.
Wissenschaftlich fundiert und locker formuliert werden wir darüber aufgeklärt, dass es mit dem Homo oeconomicus wohl doch nicht so weit her ist. Eine anregende Lektüre, die sich sowohl auf die Selbsterkenntnis als auch auf den Kontostand wohltuend auswirken kann.

Dienstag, 23. April 2019

Make my Day

100 Days. Vom Traum zum Start-Up. 250 Seiten. 16,50 €. Ariston.

„Lernen am Modell“ nennt man es, wenn man sein eigenes Know-how an einem Vorbild entwickelt. Genau das ist die Funktion dieses Buches von Katharina Baumann, Jahrgang 1991, für junge Unternehmerinnen Sie studierte BWL und machte eine Ausbildung zur Sommelière. Beides passte wie die Faust aufs Auge zu ihrer 2014 entwickelten Geschäftsidee: Luxuriöse Duftkerzen in abgesägten Champagnerflaschen zu verkaufen, unter dem Firmennamen Design Bubbles. Die Autorin beschreibt am eigenen Beispiel ganz praktisch 100 Schritte zum Aufbau eines Start-up-Unternehmens. Jeweils auf einer Doppelseite des Buches im Din-A-5-Format finden sich - konsequent mit englischer Überschrift (oder sollte ich lieber „Headline“ sagen?) – kleine Kapitel wie „Brand new Day“, „Mail Day“ oder „Mayday“. mit praktischen Tipps.
Alles jung, frisch, kompetent und ermutigend. Dass das Buch gleichzeitig auch eine super Werbung für Katharina Baumanns Produkte ist, so what. Schließlich lernen Jungunternehmerinnen daran, wie´s geht.

Mittwoch, 17. April 2019

Talentschmiede

Beate Westphal, unter Mitarbeit von Anne Jacoby: Eigentlich wäre ich gern…Wie Sie Ihre Talente zum Traumjob machen. 202 Seiten. E-Book. Campus

Auf meinem Blog bespreche ich zwar meist aktuelle Bücher, aber auch gerne mal ein gutes, das schon länger auf dem Markt ist. Wie schade, dass so mancher Schatz aus den Läden verschwindet. Aber zum Glück behalten die Verlage ja noch die E-Books. So auch bei diesem Buch, das man mir kürzlich empfohlen hat. Und ganz zu Recht. Die Autorin bezeichnet sich selbst als „Traumjobdetektivin“ und verspricht damit nicht zu viel. Ihr Buch bietet alles was man braucht, um herauszufinden, welcher Job einem wirklich liegt und einen glücklich macht. Dabei geht sie äußerst gründlich vor. Interessen, Kompetenz, Eigenschaften, Motivation, Träume, Zeit und Geld sind Thema und werden in zahlreichen sinnvollen Übungen untersucht. Wenn man sich darauf einlässt, weiß man am Ende sicher mehr als sich in einer offiziellen Berufsberatung herausfinden lässt.
Wer dazu doch noch ein Gegenüber braucht, kann sich übrigens im „Berliner Talentcafé“ beraten lassen (www. talentcafe.de). Die Autorin hat dort ihren Traumjob verwirklicht: Kekse backen und andere Menschen zum passenden Beruf zu verhelfen.

Freitag, 12. April 2019

Dickes Lob!

DIE TUN WAS! Wenn ich ein Buch in der Buchhandlung kaufe oder eins für meinen Rezensionsblog bestelle, bekomme ich es immer in Plastik eingeschweißt wie eine Salami. Das soll wohl belegen, dass das Buch neu und ungelesen ist, auch falls man es verschenken möchte. Ist das soviel Plastikmüll wert? Der Ullstein Verlag hat jetzt eine andere Lösung gefunden: Eine kleine Banderole verschließt die Buchseiten wie ein Siegel. Eine tolle Idee: Gleiche Wirkung, Schluss mit Plastik. Den Verlag wird man sich merken müssen!

Donnerstag, 11. April 2019

Bunte Vision

Marianne Salentin-Träger, Anja Jahn: Moodboards. Wünsche visualisieren und verwirklichen. 159 Seiten, mit vielen Abbildungen. 18.- €. Irisiana

Dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, ist allgemein bekannt. Hier geht es nun darum, diese Tatsache für die eigenen Wünsche zu nutzen. Dazu hilft ein Moodboard (wörtlich übersetzt „Stimmungstafel“). Es handelt sich um eine Collage aus Fotos und Sätzen, die uns positiv auf unsere persönlichen Ziele einstimmt, sei es beruflich oder privat. Marianne Salentin-Träger erläutert die psychologischen Hintergründe der Wirkung, gibt eine genaue Anleitung zur Herstellung eines Moonboards und bringt zahlreiche Beispiele von Frauen und Männern, die bereits erfolgreich damit arbeiten. Was mir besonders gefällt, ist die wohltuend sachliche Vermittlung. Häufig werden Moodboards ja im esoterischen Bereich als „Wunschcollagen“ empfohlen, wobei ich der damit oft verbundenen naiven Magie eher skeptisch gegenüberstehe. Während dieses Buch Lust auf einen Versuch macht und ein solides Vertrauen in das Ergebnis vermittelt.
Gut gegliedert, modernes Layout mit farbigen Fotos – ein inspirierendes Handbuch für alle, die ihren Zielen auf kreative Weise näherkommen wollen.

Sonntag, 7. April 2019

Happy Bowling

Annelina Waller: Buddha Bowls. Eine Schüssel voll Glück. 160 Seiten mit Fotos. 20.- € . Callwey

Der Trend kommt aus dem gesundheitsbewussten Kalifornien. Inzwischen werden auch bei uns die sogenannte „Bowls“ (engl. Schüsseln) immer beliebter. Dazu mischt man frisches Gemüse, Obst, Körner, Nüsse, Sprossen und andere passende Ingredienzien mit einem interessanten Dressing. Das ergibt eine leckere, leichte und sättigende Mischung. Natürlich kann man sich das nach Gusto selbst zusammenstellen, aber mit dem Bowl-Buch von Annelina Waller macht es viel mehr Spaß. Bei den anregenden vegetarischen Rezepte und den farbigen Fotos läuft einem schon beim Blättern das Wasser im Mund zusammen. Und das Ergebnis schmeckt köstlich, ich habe es ausprobiert.
Gefallen hat mir auch der gute Aufbau des Buches: Auf den ersten Seiten gibt die Autorin grundlegende Infos zu Nährstoffen. Die Bowl-Rezepte sind nach Mahlzeiten eingeteilt: Frühstück, Mittag- und Abendessen, sowie Desserts. Zu jeder Bowl gibt es Anleitung für die passenden Dressings und Hinweise zum Einkauf für die Zutaten.
Ein wunderschönes, praktisches Buch für alle Liebhaber(innen) der leichten Küche.



Samstag, 30. März 2019

Einfach hyyggelig!

Julie Caplin: Das kleine Café in Kopenhagen. 396 Seiten. 9,99 €

Kate arbeitet für eine der größten PR-Agenturen Londons. Nachdem sie durch eine Intrige ihre Beförderung verpasst hat, soll sie nun mit einem Sonderauftrag beweisen, was sie kann: Ein dänischer Hotelier beauftragt sie, englischen Journalisten mit einer gesponserten Reise nach Kopenhagen das Hygge-Gefühl nahezubringen – ein Trend, der sich mit „Gemütlichkeit“ übersetzen lässt, hinter dem aber noch mehr steckt: Bewusstes, achtsames Leben und die Freude an nachhaltigen schönen Dingen. Kate gelingt es, in kurzer Zeit fünf Journalisten für die Fahrt zu gewinnen. Der sechste, Benedict Johnson, will eigentlich nicht, wird aber von seinem Chef dazu verpflichtet. Die Gruppe von überwiegend egozentrischen Journalisten bei Laune und zusammen zu halten, fordert Kate alles ab. Besonders zwischen Benjamin und ihr fliegen die Fetzen. Dass doch noch alles gut geht, verdankt Kate Eva, der liebenswürdigen Besitzerin eines kleinen Cafés in Kopenhagen, das die berühmte dänische Hygge in besonderem Maße verkörpert. Am Ende sind alle glücklich, einschließlich des Auftraggebers. Und ob sich Kate und Ben kriegen? Das verrate ich hier nicht.
Ein locker geschriebenes, spritziges Buch für entspanntes Lesevergnügen. Der nächste Urlaub kommt bestimmt.

Sonntag, 24. März 2019

Herztöne

John Strelecky: Folge dem Rat deines Herzens und du wirst bei dir selbst ankommen. 128 Seiten. 14.- €. Dtv

Ich liebe diese kleinen Bücher, die man portionsweise lesen kann. Man ist nicht gezwungen, sich konzentriert mit einem einzigen Thema zu befassen, sondern darf sich von Ideen und Erkenntnissen inspirieren lassen. Strelecky, Autor des Bestsellers „Das Café am Rande der Welt“, hat seine Gedanken in dieser Form zusammengestellt, jeweils auf einer bis drei Seiten. Persönliche Erlebnisse, Überlegungen und Aphorismen wechseln sich frei ohne Überschrift und Einteilung ab, unterbrochen von schönen farbigen Illustrationen. Der Inhalt ist schlicht, sollte aber nicht unterschätzt werden. Es geht etwa um Träume, Selbstfindung, genaue Beobachtung. Viel anregender Stoff, um einmal in Ruhe in sich hineinzuhören. Heute, morgen, übermorgen… 

Dienstag, 5. März 2019

Auf geht´s!

Doris Märtin: Habitus. Sind Sie bereit für den Sprung ganz nach oben? 328 Seiten. 22,95 €. Campus

Mein höchstes privates Lob für ein Sachbuch ist es, wenn ich es mit einem Stift lese, um wichtige Stellen zu unterstreichen. Bei dem Buch von Doris Märtin habe ich ihn gar nicht mehr aus der Hand gelegt. Die promovierte Sprach- und Literaturwissenschaftlerin vermittelt gut strukturiert und wissenschaftlich fundiert, welcher Habitus die jeweilige Gesellschaftsschicht bestimmt und leitet daraus ab, was zum Aufstieg nötig ist. Das ist hervorragend und oft amüsant geschrieben, ergänzt durch viele aktuelle Beispiele und Experteninterviews.
Was haben die Tüpfelhyänen im Ngorongoro-Krater mit unserer Gesellschaft gemeinsam? Eine Elite, deren Privilegien auch ihr Nachwuchs ganz selbstverständlich genießt. Mit diesem verblüffenden Vergleich aus dem Tierreich startet die Autorin ihre Beschreibung der feinen Unterschiede zwischen der unteren, mittleren und oberen  sozialen Schicht. Jede besitzt ihren eigenen Habitus, ein spezifisches Verhalten, an dem sich die Zugehörigkeit erkennen lässt. Wer in die nächsthöhere Gesellschaftsschicht aufsteigen möchte, muss deren Habitus beherrschen. Doris Märtin präzisiert Habitus als eine Art Kapital in unterschiedlicher Form, das mehr oder minder ausgeprägt ist.
1. Wissenskapital: Was man kann. 2. Materielles Kapital: Was man hat. 3. Soziales Kapital: Wen man kennt. 4. Kulturelles Kapital: Wie man sich abhebt. 5. Physisches Kapital: Wie man Status verkörpert. 6. Sprachlich-kommunikatives Kapital: Wie man spricht. 7. Psychologisches Kapital: Wie man Dinge anpackt.
Der Aufstieg in eine höhere Gesellschaftsschicht gelingt, indem man das dazu notwendige Kapital bei sich erhöht. Unter der Überschrift „So setzen Sie zum Sprung nach oben an“ gibt die Autorin deshalb konkrete Ratschläge, was man tun kann, um etwaige Kapital-Defizite auszugleichen.
Ein wichtiges Handbuch für alle, die nach oben streben und eine interessante, informative Lektüre auch für diejenigen, die mit ihrer Position ganz zufrieden sind.


Sonntag, 24. Februar 2019

"Wir drucken!"

Katharine Graham: Die Verlegerin: Wie die Chefin der `Washington Post` Amerika veränderte. 18.- €. rororo

Katherine Graham ist die berühmte Verlegerin der „Washington Post“, deren Redakteure Woodward und Bernstein seinerzeit die Watergate-Affäre aufgedeckt haben – und dies ist ihre Autobiografie. Sie beginnt mit ihrer Geburt als Tochter einer kapriziösen protestantischen Mutter und eines jüdischen Vaters. Die kleine Kay wächst in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Als der Vater die marode „Washington Post“ aufkauft, wird das Blatt zum Lebensinhalt der Familie. Katherines Ehemann Phil übernimmt später die Leitung. Nach seinem Suizid springt Katherine ins kalte Wasser und wird Chefin der „Post“. Ihre Stellung ist mit Kontakten zu hochrangigen Politikern bis hin zu amtierenden Präsidenten verbunden, aber auch zu bedeutenden Künstlern und anderen Prominenten.
Die Biografie liest sich wie eine Dokumentation. Sie besteht aus einer chronologischen Aneinanderreihung von Ereignissen im Kampf um die „Washington Post“, eher sachlich als erzählend. Spannung ergibt sich vor allem aus den Tatsachen. Nicht jeder der 800 Seiten - ich habe das Buch auf meinem E-Reader gelesen - muss man unbedingt die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Sie enthalten viel Namedropping und beschreiben den pompösen Lebensstil der amerikanischen Elite. Interessant waren für mich vor allem die Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere, die brisante Aufdeckung der Watergate-Affäre, die Gewerkschaftsstreiks, die politischen Verstrickungen und die finanziellen Turbulenzen, auch die persönliche Entwicklung der Verlegerin von der unemanzipierten Frau zur eigenständigen Persönlichkeit.  
Ein sehr ausführlicher, ehrlicher Blick hinter die Kulissen einer großen Zeitschrift und ein faszinierendes Zeitzeugnis mit erstaunlichen Parallelen zur Gegenwart. Lesenswert.

Donnerstag, 14. Februar 2019

Schicksalstanz

Annabel Abbs: Die Tänzerin von Paris. 12,99 €. Aufbau Verlage

Im Film nennt man es Biopic – eine Biografie, die durch fantasievolle Elemente lebendig und verständlich wird. Das ist auch Annabel Abbs gelungen. Sie erzählt die Geschichte von Lucia Joyce, der Tochter des irischen Schriftstellers James Joyce, im Zeitraum von 1929 bis 1933.
Lucia lebt noch bei ihren Eltern in Paris. Sie ist eine begabte Tänzerin, die bereits mit öffentlichen Auftritten Erfolg hat und attraktive künstlerische Angebote bekommt. Keines davon kann sie dauerhaft annehmen, weil ihre Eltern sie immer wieder für sich beanspruchen. Der Vater, seit seinem Werk „Ulysses“ als Genie gefeiert, ist halbblind. Er braucht sie als Muse und Arbeitskraft. Die Mutter neidet ihr die Erfolge und manipuliert sie mit moralischen Appellen. Als einziger Weg, sich vom elterlichen Druck zu befreien, erscheint ihr eine Heirat. Sie verliebt sich in den Schriftsteller Samuel Beckett, der ihr zwar Hoffnung macht, sie dann aber bitter enttäuscht. Das Gleiche passiert ihr mit dem Künstler Alexander Calder. Für eine sensible Frau wie Lucia ist das zu viel: Von den Eltern ausgenutzt kann sie ihre Tanzpassion nicht ausleben, in der Liebe wird sie nur verletzt. Das führt zu einem seelischen Zusammenbruch. Am Ende landet sie in einer psychiatrischen Anstalt und wird von C.G.Jung in psychoanalytischen Sitzungen behandelt.
Annabel Abbs beschreibt den Verlauf nicht chronologisch, sondern auf zwei Zeitebenen: Die Gegenwart während der Psychoanalyse, die Vergangenheit als Erinnerung. Sie lässt Lucia ihre Geschichte selbst erzählen. Es entsteht das überzeugende Bild einer von egoistischen Eltern seelisch missbrauchten jungen Frau, die nicht die Kraft hat, sich von dem schädlichen Einfluss zu lösen. Gleichzeitig ist es ein Beispiel dafür, wie schwer es für die Kinder berühmter Menschen ist, ihr eigenes Leben zu führen.
Ein berührendes und aufschlussreiches Buch für alle, die sich auf die Beschreibung seelischer Entwicklungen einlassen mögen.

Samstag, 26. Januar 2019

Frischekick

Vishen Lakhiani: Lebe nach deinen eigenen Regeln. 10 Schritte zum unkonventionellen Denken. 18.- €. 377 Seiten. Allegria

Mein Vater war Pastor, deshalb fallen mir für manche Belange passende Sprüche aus der Bibel ein. In diesem Fall ist es: „Alten Wein in neue Schläuche gießen“. Der wertvolle „alte Wein“ besteht in den bekannten Methoden, überholte Glaubenssätze loszulassen, Ziele zu visualisieren, Projektionen zu erkennen und seine Lebensaufgabe zu finden. Der Autor füllt sie in „neuen Schläuche“, indem er diesen Lebensregeln eine frische, moderne Form gibt. Vishen Lakhiani, geboren in Malaysia, ist von seiner Ausbildung her Informatiker. Deshalb überträgt er Begriffe aus dem IT-Bereich auf die Persönlichkeitsentwicklung, etwa in den Kapitelüberschriften „Üb dich im Bewusstseinsengineering“, oder „Gönn deinen Lebenssystemen ein Upgrade“, In zehn Schritten erläutert er, wie man das eigene Potenzial entwickeln, respektive „sich „neu programmieren“ kann. Das liest sich keineswegs technisch-trocken. Vishen Lakhiani schreibt locker und bringt anschaulich persönliche Erfahrungen ein. Dabei spürt man dem Autor die Begeisterung über seine Erkenntnisse ab. Was mich allerdings etwas gestört hat, ist seine unkritische Bewunderung für Persönlichkeiten wie Elon Musk oder Ariane Huffington, die er als Vorbilder für unkonventionelles Denken preist. Hier hätte ich mir statt Anhimmeln nach dem Motto „Wie wunderbar, dass ich sie kennenlernen durfte“ mehr Selbstbewusstsein gewünscht. Aber davon abgesehen: Ein inspirierendes und sehr praktisches Buch, das zum Nachdenken anregt, wie man das eigene Leben glücklich und erfolgreich gestalten kann.


Montag, 21. Januar 2019

ICHWAHN

Markolf H. Niemz: Ichwahn. Ein Physiker erklärt, warum Abgrenzung gegen unsere Natur ist. Der Schlüssel für ein neues Miteinander. 217 Seiten. 19,99.-€. Ludwig Verlag

Markolf H. Niemz ist Physiker und Professor für Medizintechnik an der Uni Heidelberg. In seinem Buch stellt er die These auf, dass der Ichwahn die primäre Ursache aller sozialen Konflikte ist und dass Abgrenzung gegen unsere Natur ist. Dabei unterscheidet er im ersten Kapitel vier verschiedene Arten von Ichwahn: Den zwischenmenschlichen, den wissenschaftlichen, den politischen und den religiösen. In den nächsten Kapiteln stellt er biologische, physikalische, neurowissenschaftliche und philosophische Erkenntnisse vor, die untermauern sollen, dass die gängige Auffassung vom Ich als einem Individuum ein Irrtum ist – und damit das größte Hindernis für Frieden. Sie tragen die Überschriften: „Verkannte Wirklichkeit“. „Verkanntes Licht“. „Verkannte Freiheit. „Verkanntes Glück“ und werden mit farbigen Illustrationen ergänzt. Den Abschluss bildet „Erwachen in ein neues Ichbewusstsein“ und ein Talk mit dem Autor.
Es ist Niemz sehr anzurechnen, dass er auf eine überzogene Individualität als großes Problem unserer Zeit hinweist. Aber für mich als Psychologin mit philosophischem Hintergrund geht Niemz an manchen Stellen zu weit über sein Fachgebiet hinaus. Seine Bemühungen, Verbindungen zwischen Physik und eher (religions-)philosophischen Themen wie Gott und Glück   herzustellen, überzeugen nicht immer. Fazit: Das Buch enthält interessante, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, die der Autor anschaulich erklärt. Von daher ist es durchaus anregend. Das positive Gefühl beim Lesen ist insgesamt aber mehr seinem Engagement für das Thema geschuldet als einer stringenten Beweisführung.


Donnerstag, 17. Januar 2019

Alfred Adler grüßt Sokrates

Ichiro Kishimi , Fumitake Koga: Du musst nicht von allen gemocht werden.10.- €,. Rowohlt
Unter dem Titel hatte ich einen üblichen Ratgeber erwartet, der gängige Weisheiten vermittelt, wie „Sei einfach du selbst“ oder „Mach dir nichts daraus, was andere von dir denken“. Doch dann hat mich dieses Buch überrascht. Zunächst einmal durch seine Form. Es ist als Dialog geschrieben. Ein älterer Philosoph diskutiert mit einem jüngeren Mann. Das erinnerte mich sofort an die Gespräche des Sokrates, die uns Platon überliefert hat. Tatsächlich gibt es auch in diesem Buch einen zunächst uneinsichtigen Protagonisten, der allmählich durch die Weisheit eines Philosophen von einer Wahrheit überzeugt wird. Hier geht es allerdings um eine psychologische Theorie. Beleuchtet werden die Ideen des österreichischen Psychologen Alfred Adler, einem Zeitgenossen Sigmund Freuds. Er begründete im 19. Jahrhundert die als „Individualpsychologie“ bekannte Therapieform.  
Adlers Ansatz ist gänzlich anders als der von Freud und Jung. Er verneint frühe traumatische Erlebnisse als Ursache für späteres problematisches Verhalten. Für ihn ist neurotisches Verhalten lediglich ein unbewusstes Mittel, sich nicht positiv verändern zu müssen. Das gibt jedem Menschen die Freiheit, sich mutig für anderes zu entscheiden. Indem man außerdem aufhört, es allen recht machen zu wollen, lebt man sein eigenes Leben. Egoistisch ist das dennoch nicht, denn Glück gibt es nur durch Engagement für die Gemeinschaft.
Diese Gedanken werden – natürlich viel ausführlicher – im Gespräch entfaltet, wobei die Autoren dem jungen Mann die Zweifel in den Mund legen, während der Philosoph-Psychologe die Erklärungen gibt.
Mich hat das Buch begeistert. Es regt an, die Vergangenheit und die zwischenmenschlichen Beziehungen einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen, die mehr Freiheit und Glück verspricht. Zwar ist es verständlich geschrieben, aber nicht so leicht zu konsumieren. Es erfordert Nachdenken und Abgleich mit dem eigenen Leben. Dann kann sich die Lektüre wie eine gute Psychotherapie auswirken: Sie befreit aus der Opferrolle.


Samstag, 12. Januar 2019

Fischfilet

Volker Kutscher: Der nasse Fisch. 576 Seiten. 12.- € , Kiepenheuer & Witsch

Auf diesen Kriminalroman hat mich die TV-Serie „Babylon Berlin“ gebracht, deren Vorlage er ist. Die Geschichte um den jungen Kriminalkommissar Gereon Rath spielt in Berlin Ende der 1920er Jahre. Die Reichshauptstadt pulsiert vor Lebenslust und -gier, mit Unterhaltung aller Art, aber auch Drogen und Prostitution. Die verschiedenen politischen Gruppen liefern sich Straßenschlachten, während die Polizei von ihrem Hauptquartier „Die Burg“ aus versucht, die Kriminalität und revolutionäre Aktionen einzudämmen. Rath, der von Köln nach Berlin versetzt worden ist, bekämpft zunächst bei der Sitte Pornografie, ermittelt dann aber auf eigene Faust in einem Mord im Rotlichtmilieu. Es handelt sich um einen „nassen Fisch“. So nennt die Berliner Polizei einen ungeklärten Fall, der in den Akten zu verschwinden droht. Schließlich kommt Rath einem Goldtransport aus Russland auf der Spur. Dabei gerät er in verzwickte und gefährliche Situationen. Natürlich spielt auch eine Frau eine Rolle. Er verliebt sich in Charly, Sekretärin im Polizeipräsidium. Soweit der Inhalt, ich will ja nicht zu viel verraten.
Es bekommt dem Roman gewiss gut, wenn man die Serie kennt. Ich sah jedenfalls beim Lesen immer Bilder aus den Filmen vor mir, was die Lektüre bunter machte. Es erfordert nämlich Geduld, um auf mehr als 500 Seiten nahezu in Echtzeit den Wendungen der Geschichte zu folgen. Gefallen hat mir dabei die Genauigkeit, mit der Kutscher das Berlin der 1920er Jahre beschreibt, vor allem die Örtlichkeiten. Man könnte mit dem Stadtplan in der Hand den Weg des Protagonisten im heutigen Berlin verfolgen. Kutschers Schreibstil ist klar und sachlich. Allerdings bin ich hier und da bei Sätzen zusammengezuckt wie „Sie schaute wie ein Auto. Ein schönes Auto“ oder „Ihre schlanken Beine flogen die Treppe hoch. Und ob man um 1929 tatsächlich bei schnellem Sex von einem „Quickie“ gesprochen hat, möchte ich bezweifeln. Aber diese Kleinigkeiten sollen niemanden daran hindern, sich mit Gereon Rath in das Berlin der Zwanziger Jahre zu begeben.   

Dienstag, 1. Januar 2019

Geistvoll

Rupert Sheldrake: Die Wiederentdeckung der Spiritualität. 7 Praktiken im Fokus der Wissenschaft. 259 Seiten. 19,99 €. O.W.Barth

Der 1942 in England geborene Biologe Rupert Sheldrake gehört zu den Vorreitern eines ganzheitlichen Weltbildes, das Naturwissenschaft und Spiritualität miteinander verbindet. Mir war er schon durch seine Theorie der morphogenetischen Felder bekannt, in der er ein Gedächtnis der Natur postuliert. In diesem Buch stellt er sieben grundlegende spirituelle Praktiken vor: Meditation, Dankbarkeit, Verbindung mit der Natur, Rituale, Pilgerreisen zu Kraftorten und Musik. Jede dieser Möglichkeiten kann dazu führen, dass wir wieder zu den Wurzeln unseres Menschseins finden. Laut Sheldrake hat ein atheistisches und mechanistisches Weltbild das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem es auch heilende Traditionen und Bräuche gekappt hat. Kenntnisreich und ausführlich beschreibt er die geisteswissenschaftlichen, historischen, biologischen und psychologischen Hintergründe der sieben Praktiken. Anschließend macht er zu jeder von ihnen zwei Vorschläge, wie sie sich ins tägliche Leben umsetzen lassen.
Das Buch ist interessant und inspirierend. Wer für Spiritualität offen ist, wird hier Anregungen finden, die - im Gegensatz zu so manchem esoterischen Dünnbrettbohren – auch den Intellekt einbezieht.