Montag, 25. Mai 2015

Selbststeuerung statt Autopilot

Joachim Bauer: Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens. 238 Seiten, 19,99 €, Blessing
Zur Zeit könnte man fast glauben, die Hirnforschung habe die Psychologie abgelöst. Sämtliche Gefühle werden lokalisiert und durchleuchtet. Glück, Liebe, Motivation, Wille...Das Fazit einiger Vertreter dieser Zunft  lautet: Alles nur Hirnfunktionen. Das erinnert mich.an den bornierten Spruch eines berühmten Chirurgen: "Ich habe alle Körperteile aufgeschnitten, aber eine Seele habe ich nicht gefunden."  Fasziniert von ihren Teilerkenntnissen schauen manche Hirnforscher nicht über den Tellerrand ihrer Wissenschaft.

Bei Joachim Bauer ist das  anders. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut stellt die Hirnforschung in den Dienst der Psychologie. Dabei konzentriert er sich auf den Bereich, der für Bewusstheit und Kontrolle zuständig ist, den sogannanten Präfrontalen Cortex.
Das Neue daran ist, dass er diesem Teil eine entscheidende Funktion zuordnet. Bisher gilt nämlich eher die Vorstellung, dass der Mensch von seinen Trieben beherrscht wird und die Rationalität nur eine dünne Firniß ist. Bauer spricht dem Unbewussten die Vorrangstellung ab. Stattdessen sieht er Bewusstsein und Unterbewusstsein gleichrangig. Wir besitzen einen freien Willen, mit dem wir unsere Impulse kontrollieren können. Uns allen ist die Fähigkeit angeboren, Selbststeuerung zu erlernen. Sie sorgt für eine Balance zwischen der unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen und dem Erreichen längerfristiger Ziele und zeigt einen Weg aus Stress, innerer Leere und Konsumabhängigkeit. Die Fähigkeit zur Selbststeuerung betrachtet er vor allem unter dem Aspekt Erziehung und Gesundheit.Daraus lassen sich Konsequenzen für die Bildungs- und Gesundheitspolitik ableiten, aber auch für den Einzelnen.
Ich habe daraus gewonnen: Es lohnt sich, auch bei den kleinen Dingen des Alltag  den freien Willen einzusetzen. Wir haben mehr davon als wir glauben.


Sonntag, 10. Mai 2015

Cocktail aus dem Stork Club

Frédéric Beigbeder: Oona & Salinger. Roman. 300 Seiten. 19,99 €. Piper 

Es ist schon ewig her, dass ich J.D. Salingers "Fänger im Roggen" gelesen habe. Ich wusste auch, dass Oona O´Neil Charly Chaplins Ehefrau war. Doch dass der Schriftsteller und die Schauspielergattin in jungen Jahren eine Liebesbeziehung hatten, war mir neu. Diese Wissenlücke füllt Frédéric Beigbeder mit seinem Roman "Oona & Salinger". Genauer gesagt handelt es sich um eine "Non-fiction novel", eine Erzählform, die der Fantasie des Autors  Freiheit lässt, aber nahe an den Fakten bleibt.
Im berühmten Stork Club im New York der 40er Jahre treffen sich der 23jährige Salinger und die 15jährige Oona. Einen Sommer lang dauert ihre Romanze. Sie endet, als sich der Schriftsteller im Zweiten Weltkrieg zur Armee meldet. Oona geht nach Hollywood und lernt dort Charly Chaplin kennen.
Soweit die Tatsachen. Beigbeder macht daraus eine interessante Mischung: Er bringt sich immer wieder selbst ein, etwa indem er von seiner Vorliebe für junge Frauen erzählt, von einer gescheiterten Reportage auf der Suche nach Salinger berichtet oder aktuelle Kommentare macht. Er fingiert Dialoge und Briefe, verbindet sie mit dokumentarischen Passagen. Einen großen Raum nehmen die blutigen Schilderungen von Salingers Erfahrungen an der Front ein. Parallel dazu wird Oonas komfortables Leben mit Chaplin beschrieben.
Dieser bunte Cocktail ist geschickt gemixt und anregend zu lesen.  Wer jedoch ein literarisches Erlebnis oder biografisch Erhellendes zu den Protagonisten erwartet, wird eher enttäuscht sein.