Mittwoch, 22. April 2015

Eis genießen

Peter Lemke, Stephanie von Neuhoff: Der gefrorene Ozean. Mit FS Polarstern auf Winterexpedition in die Antarktis. 240 Seiten, 29,95 €. Koehlers Verlagsgesellschaft 
Ich werde schon bei leichtem Schiffschaukeln seekrank. Die schlimmsten 30 Minuten dieser Art erlebte ich bei der Überfahrt von Samos nach Ephesus. Und Kälte ist auch nicht mein Ding. Nie käme ich auf die Idee, meinen Urlaub in einem nördlichen Land zu verbringen. Aber was mich in der Realität gruseln lässt, ist als Lektüre das pure Vergnügen. Warm und auf festem Untergrund ist es äußerst spannend, die faszinierende Reise des Forschungsschiffes "Polarstern" von Kapstadt bis Punta Arenas  zu verfolgen. Im Winter ist das Südpolarmeer fast vollständig von Eis bedeckt. Dem Forschungseisbrecher des Alfred-Wegener-Institus gelang die Überwinterung in der Antarktis. Ein internationales 49köpfiges Forscherteam und die Schiffsbesatzung trotzten Eisschollen, heftigen Schneestürmen  und Temperaturen von minus 30 Grad. Ziel der Expedition war die Polarforschung. Was dabei alles passieren kann, verraten Überschriften wie "Gefangen im Eis", "Hilfe, unsere Messfelder brechen auseinander" und "Notfall mitten im Weddelmeer". Die Texte sind protokollmäßig geschrieben. Das bewirkt, dass man sich als LeserIn fühlt, als sei man unmittelbar dabei. Auf jeder Seite gibt es Fotos, von der atemberaubenden Landschaft  oder den WisschaftlerInnen bei der Arbeit.  Außerdem erfährt man unter "Wissen kompakt" eine Menge über unser Klima, das Eis, die Polarmeere und die Methoden der Meeresforschung,

Ein großartiger Bildband, mit dem man sich lange beschäftigen kann. Mir hat er nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch viel Respekt vor denjenigen,  die im Dienste der Wissenschaft solche  Strapazen auf sich nehmen. Für alle, die ein Abenteuer im Eis erleben möchten ohne kalte Füße zu kriegen. 

Samstag, 18. April 2015

Fashionistas

Wolfgang Joop: Dress Code. Stilikonen zwischen Kult und Chaos. Gräfe und Unzer. 253 Seiten. 17,99 €

In meiner Modeagenda gab es Hotpants und  Minikleider, Schlapphüte und schwarze Lederhosen. Ich war die Erste, die in Köln einen Maximantel trug, später fiel ich in Hamburg mit einem Kunstpelz vom Amsterdamer Flohmarkt auf. Heute komme ich dezenter daher, aber das Spiel mit der Mode finde ich immer noch spannend. Deshalb interessierte mich das neue Buch des Modedesigners Wolfgang Joop. Der Titel "Dresscode" lässt zunächst vermuten, dass es sich um eine Anleitung für das "richtige" Outfit handelt, wie es die meisten Modemagazine zeigen. Das Gegenteil ist der Fall. Wolfgang Joop sieht Mode mit psychologischem Blick: "Wir brauchen Mode zum Ausdrücken unserer Persönlichkeit wie der Spieler das Roulette. Es macht Spaß, sie wie eine Botschaft zu nutzen." Und dann stellt er der Reihe nach 12 Botschafterinnen der Mode vor, unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichem Stil. Unter anderem Alexa Chung, Lena Dunham, Iris  Apfel, Carine Roitfeld, Tilda Swinton und Kate Middleton. Im Plauderton, aber hochprofessionell analysiert er ihren Stil und arbeitet dabei das Besondere heraus, das er jeweils am Ende der Modecharakteristik zu den "Dos and Don´ts" der jeweiligen  Stilikone verdichtet. Jedes Mode-Porträt ist mit Fotos und den schwungvollen farbigen Zeichnungen des Autors illustriert.
Um das Buch so richtig zu genießen, sollte man sich schon ein bisschen mit Mode beschäftigt haben. Wer weiß, dass Alexa Chung eines der gefragstesten It-Girls ist und Iris Apfel eine 93jährige New Yorker Exzentrikerin, der  hat sicher am meisten davon. Doch auch für Mode-Neulinge ist es interessant und inspirierend. Es führt nämlich zu der Frage: Wer bin ich und wie will ich gesehen werden? Womit wir wieder bei der Psychologie wären.

Dienstag, 14. April 2015

Putzsüchtig

Keisuke Matsumoto: Die Kunst des achtsamen Putzens. Wie wir Haus und Seele reinigen. Goldmann. 158 Seiten,  8,99 €

Mal ehrlich, wer putzt schon gern? Viele überlassen das lieber einer Fachkraft. Und diejenigen, die es selbst machen, empfinden es eher als lästiges Übel. Eine Bekannte hat mir sogar mal erzählt, dass sie sich für die Reinigung ihrer Räume mit einem Trick motiviert: Sie spielt ihre eigene Putzfrau. Für ihr privates kleines Rollenspiel bindet sie sich ein Tuch um den Kopf, zieht sich eine Kittelschürze an und legt los. Ich habe vergessen zu fragen, ob sie sich zum Schluss auch bezahlt.
Nun also gibt es das Buch zur Tätigkeit: Die Kunst des achtsamen Putzens.  Seit ich es gelesen habe, sehe ich Scheuerlappen und Besen mit anderen Augen. Der Untertitel verrät schon, worum es geht.. Indem wir achtsam unser Domizil reinigen, klären wir gleichzeiitg auch unser Inneres.Das vermittelt der Autor keineswegs mit esoterischen Ausführungen. Als buddhistischer Priester eines Tempels in Tokyo beschreibt er einfach die diversen Verrichtungen der Zen-Mönche.
Nach einer Erläuterung zur Bedeutung des Putzens und der Vorbereitung führt das zu den Kapiteln "Sauberkeitu und Hygiene an Orten des Wassers und der Körperpflege", "Die Reinigung der Zimmer", "Putzen außerhalb des Hauses", "Geist und Körper reinigen", "Wenn man mit dem Putzen fertig ist". Das Buch fasziniert mit seiner schlichten Sprache und der klaren Aussage. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass sich der Zen-Geist überträgt.
Nicht nur für LeserInnen, die selbst putzen, sondern für alle, die sich einen neuen Blick auf die Ordnung in ihren Räumen und ihrem Geist wünschen.    
   

Montag, 6. April 2015

Scheherazade und das Glück

Maha Alusi: Moments of Happiness. Wie wir Zeit verschenken und Glück gewinnen. 240 Seite. 17.99 €. Kailash Verlag
Wenn in einem Buchtitel das Wort "Glück" vorkommt, ist mein Interesse geweckt. Ich habe nämlich über das Thema "Glücklichsein" promoviert und war damit in den 80ger Jahren eine Pionierin auf dem Gebiet der Psychologie. Was Wunder, dass es mich immer noch interessiert.
Maha Alusi trägt zu dem Thema etwas ganz Besonderes bei. Ihr Buch ist kein üblicher Ratgeber nach dem Motto "Tun Sie dies" und "Versuchen Sie jenes". Es ist eine zauberhafte Sammlung persönlicher Erlebnisse der Autorin, kleine scheinbar alltägliche Geschichten etwa mit dem Titel "Der Bettler, der mich reich machte"oder "Die goldene Handtasche."  Doch die Geschichten sind alles andere als alltäglich, wenn eine Scheherazade wie Maha Alusi sie erzählt. Mit einem großen Herzen und erzählerischem Können entfaltet sie ein wunderbares Kaleidoskop von Situationen, die allein durch ihre Achtsamkeit und Erzählkunst zu hochinteressanten Geschichten werden. So hätte ich zum Beispiel nie gedacht, dass ich das Nähen eines Hocheitskleides mit solcher Spannung  verfolgen würde wie in ihrer Geschichte "Die Hochzeit".
Dieses Buch ist ein Schatz. Oder vielleicht die papierene Form von Aladins Wunderlampe?Immerhin stammt Maha Alusi von Geschichtenerzählern ab, die auf der Insel Alusi im Euphrat beheimatet waren. Sie lebt in Berlin. Vom bezaubernden Inhalt ganz abgesehen ist das Buch mit Illustrationen der Autorin auch schön aufgemacht.Ein inspirierendes Geschenk für andere und für einen selbst, das glücklich macht. Und ich weiß, wovon ich spreche.