Mittwoch, 29. November 2017

Roadtrip

Tim Bauerschmidt, Ramie Liddle: Driving Miss Norma. Sag ja zum Leben. 286 Seiten. Heyne. 18.00 € 
Norma Bauerschmidt ist 90 Jahre alt und erst seit kurzem verwitwet, als bei ihr ein bösartiger Krebs diagnostiziert wird. Das Programm der Ärzte sieht Operation und Chemotherapie vor. Doch Miss Norma beschließt, stattdessen gemeinsam mit Sohn Tim, Schwiegertochter Ramie und dem Familienpudel Ringo zu ihrer letzten großen Reise aufzubrechen. Gemeinsam machen sie sich mit einem Wohnmobil auf einen Roadtrip quer durch die Vereinigten Staaten auf. Jeder Tag bietet Unbekanntes, dem sich die Reisegefährten stellen müssen. Norma nimmt die Herausforderung an, stellt sich ihren Ängsten und holt vieles von dem nach, was sie in ihrem bisherigen Leben versäumt hat. Per Facebook darf die Öffentlichkeit an diesem Abenteuer teilnehmen. Auf den Fotos sieht man Norma fröhlich lachend. In kurzer Zeit hat die alte Dame tausende Fans. Doch trotz Glücksgefühlen und Abenteuerlust muss sich die kleine Reisegruppe schließlich der Realität stellen. Normas Gesundheitszustand verschlechtert sich nach einigen Monaten rapide. So mutig, wie sie gelebt hat, geht sie, von ihren Kinder und der Mitarbeiterin eines ambulanten Hospizes betreut, auf die Reise ohne Wiederkehr.
„Driving Miss Norma“ ist die sehr persönliche Beschreibung eines Roadtrips, der in Rückblenden auch einiges vom Vorleben der Personen preisgibt. Mir gefällt besonders die Ehrlichkeit, mit der auch emotionale und praktische Probleme nicht ausgeblendet werden. Das Autorenpaar Tim und Ramie beschreibt abwechselnd in schlichten Worten, warmherzig, lebensbejahend und voll positiver Emotionen ein intensives Jahr des gemeinsamen Lebens im Angesicht des Todes. Am Ende haben nicht nur die Beteiligten viel voneinander erfahren und gelernt, sondern gewiss auch die Leserschaft. Ich nehme jedenfalls mit, dass es nie zu spät ist, glücklich zu sein – wenn man es will!

Montag, 20. November 2017

Helikopter-Eltern im Anflug

Lena Greiner, Carola Padtberg: Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag. 222 Seiten, 9,99 € , Ullstein Verlag.
„Heute werden die Kinder eben anders erzogen als früher“, bemerkte eine ältere Dame spitz zu mir, während die Eltern eines Vierjährigen entzückt zusahen, wie er begeistert Sahne auf dem Tisch verteilte. Dieses Buch ist dafür ein guter Beleg. Es beschreibt Helikopter-Eltern, die ihre Premium-Kids bis zur Selbstaufgabe umkreisen. Ihre Aktivitäten sind hier in die Lebensphasen des Nachwuchses eingeteilt: Schwangerschaft, Kita, Schulweg, Schule inklusive Gang zum Gericht, Krankheiten, Uni und Ausbildung. Dabei handelt sich keineswegs um einen Erziehungsratgeber mit pädagogisch erhobenem Zeigefinger, sondern um eine skurrile Sammlung von Erlebnissen, die Hebammen, ErzieherInnnen, LehrerInnen, AnwältInnen, ÄrztInnen und ProfessorInnen den Autorinnen - beide Journalistinnen bei Spiegel Online -  vermittelt haben. Da trägt eine Mutter trotz Bandscheibenvorfall ihren Zweijährigen auf dem Arm, weil der partout nicht in den Buggy will. Eine andere gibt in der Kita die Anweisung, dass man ihrem Augenstern bei exakt 18,5 Grad der Pulli anziehen soll. Ein 15jähriger darf nicht allein mit der U-Bahn fahren und ein Vater erkundigt sich beim Professor nach den Noten seines studierende Sohnes  – das alles liest sich sehr lustig, wenn die Tatsachen nicht so traurig wären. Am Ende hat das Buch durchaus eine Ratgeberfunktion, aber durch die Hintertür. Vielleicht erkennt sich ja  jemand selbstkritisch wieder.
Liebe Autorinnen, hier kommt mein verspäteter Beitrag: Kürzlich in einer Boutique in Hamburg-Eppendorf (entspricht Berlin-Prenzlauer Berg). Eine Mutter probiert ein teures Outfit, ihr fünfjähriger Sohn schlägt derweil mit einer Metallschnalle auf den Spiegel ein. Die Verkäuferin macht sehr freundlich darauf aufmerksam, der Spiegel könne kaputtgehen. Darauf die Eppendorf-Mutter empört: „Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, dass sich mein Sohn verletzen könnte!“
  



Montag, 13. November 2017

Zeitreise


Jürgen Hunke: Du wirst 70. Freu dich drauf. Und: Zeitreise. Mein Leben in Stichworten.19,90 €.  Mikado Verlag
Ich lese gerne Ratgeber von erfolgreichen Menschen. Sie haben meist etwas Interessantes zu sagen. Jürgen Hunke. Jahrgang 1943,  ist so einer: Unternehmer, Galerist, Privatier und Mäzen. Außerdem hat er hat seinen eigenen Verlag Mikado gegründet, in dem er seine Bücher herausbringt - eben auch dieses Doppelbuch. Es gibt also 2 Bücher in einem. Und die haben mich unterschiedlich angesprochen:
Buch Nr. 1 befasst sich mit umfassenden Tipps fürs Alter. Zum Beispiel: Ernährung, Gesundheit, Wohnformen, Internet, Vorsorge. Die Ratschläge sind durchaus richtig und praktisch, werden aber sehr allgemein dargeboten. Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Persönliches, eigene Erlebnisse, eingeflossen wären. So sind es eher Statements, die den Kopf erreichen, aber nicht das Herz berühren.
Buch Nr. 2, „Zeitreise“, gefällt mir aus genau diesem Grund:  Die Persönlichkeit wird sichtbar. Schließlich sind es doch vor allem die Erfahrungen, von denen man als LeserIn profitiert. Hier zeigt sich ein engagierter Mann, der sich um seine Umwelt Gedanken macht. Die vielfältigen Themen sind unter anderem: Altersarmut, Ehrenamt, Karriere, Religion, Politik, Lebensplanung, Familie.
Ich finde es großartig, dass sich eine Persönlichkeit wie Jürgen Hunke auf diese Weise mitteilt. Wir brauchen erfolgreiche, eigenwillige Menschen, die nicht nur an sich denken, sondern sich auch Gedanken um das Wohlergehen anderer machen. In diesem Sinne sind es zwei lesenswerte Bücher.

Mittwoch, 8. November 2017

Neunmal Romantik

Jojo Moyes: Kleine Fluchten. Geschichten vom Hoffen und Wünschen. 137 Seiten, 12.- €. Wunderlich

Ich habe schon mit Vergnügen zwei Bücher von Jojo Moyes gelesen. Sie hat einen ganz eigenen, warmherzigen Schreibstil, der immer voller Mitgefühl für ihre ProtagonistInnen ist. Der zeigt sich auch in diesen neun Kurzgeschichten: Der Mantel vom letzten Jahr. Ein Spatz in der Hand. Der Wunschzettel. Krokodilschuhe. Liebe am Nachmittag. Holdups. Dreizehn Tage mit John C. Between the Tweets. Margot. 
Die Storys erzählen vom kleinen, alltäglichen Glück und Unglück ganz normaler Menschen, von ihren Sehnsüchten nach einem anderen, besseren Leben. Das ist anrührend und manchmal überraschend, romantisch, aber nie kitschig. Verstärkt wird die Wirkung noch durch stimmungsvolle farbige Illustrationen von Daniela Terrazini.  
Die Lektüre bietet auch kleine angenehme Fluchten in eine andere Welt für Leserinnen – es ist sicher mehr ein Buch für Frauen als für Männer. Mit seinem handlichen Format begleitet es in die S-Bahn oder abends ins Bett.  

Donnerstag, 2. November 2017

Bitte recht freundlich

Jens Weidner: Optimismus. Warum manche weiter kommen als andere. 218 Seiten, 19,95 €.

Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologe – vor allem aber ist er Vorstandsmitglied im Wirtschaftsclub  der Optimisten. Was beweist: Der Autor brennt für das Thema. Sein Buch basiert unter anderem auf den Daten einer Optimismus-Studie, die der Club beim renommierten Rheingold Marktforschungsinstitutes in Auftrag gegeben hat.
Als erstes erfährt man Historisches und Wissenswertes über Optimismus und Pessimismus. Danach kann man mit einem Fragebogen testen, welcher Optimismus-Typ man selbst ist. Im dritten Teil folgt eine differenzierte, kritische Betrachtung des Optimismus, immerhin kann die rosarote Brille auf der Nase eines naiven Menschen für ihn und andere gefährlich werden. Ideal erscheint der „Best-of-Optimist", der ebenso vorsichtig wie hoffnungsvoll ist, sich freundlich zeigt, aber auch anders kann. In den folgenden Teilen geht es um Strategien, wie ein gesunder Optimismus lebenslang umzusetzen ist, auch in schwierigen Situationen. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung von 25 Praxistipps.
Weidner schreibt anschaulich und trotz aller Wissenschaftlichkeit sehr gut verständlich. Schön sind die vielen Beispiele, auch aus eigener Erfahrung. Ein anregendes und informatives Buch, das Lust macht, einen eigenen Optimisten-Club zu gründen - notfalls mit nur einem Mitglied.