Sonntag, 24. Februar 2019

"Wir drucken!"

Katharine Graham: Die Verlegerin: Wie die Chefin der `Washington Post` Amerika veränderte. 18.- €. rororo

Katherine Graham ist die berühmte Verlegerin der „Washington Post“, deren Redakteure Woodward und Bernstein seinerzeit die Watergate-Affäre aufgedeckt haben – und dies ist ihre Autobiografie. Sie beginnt mit ihrer Geburt als Tochter einer kapriziösen protestantischen Mutter und eines jüdischen Vaters. Die kleine Kay wächst in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Als der Vater die marode „Washington Post“ aufkauft, wird das Blatt zum Lebensinhalt der Familie. Katherines Ehemann Phil übernimmt später die Leitung. Nach seinem Suizid springt Katherine ins kalte Wasser und wird Chefin der „Post“. Ihre Stellung ist mit Kontakten zu hochrangigen Politikern bis hin zu amtierenden Präsidenten verbunden, aber auch zu bedeutenden Künstlern und anderen Prominenten.
Die Biografie liest sich wie eine Dokumentation. Sie besteht aus einer chronologischen Aneinanderreihung von Ereignissen im Kampf um die „Washington Post“, eher sachlich als erzählend. Spannung ergibt sich vor allem aus den Tatsachen. Nicht jeder der 800 Seiten - ich habe das Buch auf meinem E-Reader gelesen - muss man unbedingt die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Sie enthalten viel Namedropping und beschreiben den pompösen Lebensstil der amerikanischen Elite. Interessant waren für mich vor allem die Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere, die brisante Aufdeckung der Watergate-Affäre, die Gewerkschaftsstreiks, die politischen Verstrickungen und die finanziellen Turbulenzen, auch die persönliche Entwicklung der Verlegerin von der unemanzipierten Frau zur eigenständigen Persönlichkeit.  
Ein sehr ausführlicher, ehrlicher Blick hinter die Kulissen einer großen Zeitschrift und ein faszinierendes Zeitzeugnis mit erstaunlichen Parallelen zur Gegenwart. Lesenswert.

Donnerstag, 14. Februar 2019

Schicksalstanz

Annabel Abbs: Die Tänzerin von Paris. 12,99 €. Aufbau Verlage

Im Film nennt man es Biopic – eine Biografie, die durch fantasievolle Elemente lebendig und verständlich wird. Das ist auch Annabel Abbs gelungen. Sie erzählt die Geschichte von Lucia Joyce, der Tochter des irischen Schriftstellers James Joyce, im Zeitraum von 1929 bis 1933.
Lucia lebt noch bei ihren Eltern in Paris. Sie ist eine begabte Tänzerin, die bereits mit öffentlichen Auftritten Erfolg hat und attraktive künstlerische Angebote bekommt. Keines davon kann sie dauerhaft annehmen, weil ihre Eltern sie immer wieder für sich beanspruchen. Der Vater, seit seinem Werk „Ulysses“ als Genie gefeiert, ist halbblind. Er braucht sie als Muse und Arbeitskraft. Die Mutter neidet ihr die Erfolge und manipuliert sie mit moralischen Appellen. Als einziger Weg, sich vom elterlichen Druck zu befreien, erscheint ihr eine Heirat. Sie verliebt sich in den Schriftsteller Samuel Beckett, der ihr zwar Hoffnung macht, sie dann aber bitter enttäuscht. Das Gleiche passiert ihr mit dem Künstler Alexander Calder. Für eine sensible Frau wie Lucia ist das zu viel: Von den Eltern ausgenutzt kann sie ihre Tanzpassion nicht ausleben, in der Liebe wird sie nur verletzt. Das führt zu einem seelischen Zusammenbruch. Am Ende landet sie in einer psychiatrischen Anstalt und wird von C.G.Jung in psychoanalytischen Sitzungen behandelt.
Annabel Abbs beschreibt den Verlauf nicht chronologisch, sondern auf zwei Zeitebenen: Die Gegenwart während der Psychoanalyse, die Vergangenheit als Erinnerung. Sie lässt Lucia ihre Geschichte selbst erzählen. Es entsteht das überzeugende Bild einer von egoistischen Eltern seelisch missbrauchten jungen Frau, die nicht die Kraft hat, sich von dem schädlichen Einfluss zu lösen. Gleichzeitig ist es ein Beispiel dafür, wie schwer es für die Kinder berühmter Menschen ist, ihr eigenes Leben zu führen.
Ein berührendes und aufschlussreiches Buch für alle, die sich auf die Beschreibung seelischer Entwicklungen einlassen mögen.