Samstag, 16. Dezember 2017

Farbenblind

Trevor Noah: Farbenblind. 333 Seiten. Blessing. 19,99 €

Trevor Noah ist in den USA ein bekannter TV-Moderator, Comedian und Schauspieler. Doch seine Kindheit und Jugend, die er in diesem Buch beschreibt, war unter dem grausamen Apartheitsregime Südafrikas alles andere als glanzvoll. Trevor wurde 1984 in Johannisburg als Sohn einer Schwarzen vom Volksstamm der Xhosa und eines Schweizers geboren. Die Verbindung seiner Eltern verstieß gegen den seit 1927 in Südafrika gültigen Immorality Act, der die Beziehung zwischen Europäern und Eingeborenen unter Strafe stellte. Während dieses menschenverachtenden Regimes, das bis 1990 dauerte, war das Leben für die alleinerziehende Mutter, die sich nur heimlich mit dem Vater ihres Kindes treffen konnte, sehr schwer. Doch als starke und innerlich unabhängige Frau ließ sie sich trotz Schikanen und vielen täglichen Widrigkeiten nicht unterkriegen. Noah beschreibt sie mit großer Liebe und Hochachtung. Er erzählt auch offen davon, wie er und seine Freunde sich mit illegalen Geschäften wie Raubkopieren und Hehlerei versuchten, sich das Leben etwas angenehmer zu gestalten. 
Beim Lesen wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Das Buch gibt einen persönlichen Einblick über das Leben während der Apartheit. Die Vorstellung, dass es noch gar nicht lange her ist, dass Menschen darunter leiden mussten, ist erschütternd. Aber Trevor Noah beschreibt selbst schlimme Situationen mit viel Humor und findet selbst in üblen Erfahrungen noch komische Aspekte. Von daher ist es tatsächlich auch ein unterhaltsames Buch. Lesenswert!

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Memoiren eines Psychotherapeuten

Irvin D. Yalom: Wie man wird, was man ist. Memoiren eines Psychotherapeuten. 444 Seiten. btb , 25.- €

Irvin Yalom ist mir schon seit dem Psychologiestudium vertraut. Sein Buch über Gruppentherapie war damals unsere Bibel. Die erstand ich, (sorry, ich war jung und hatte kein Geld) als Raubdruck auf dem Campus. Auch seine - nun rechtmäßig erworbenen - späteren Romane über Psychotherapie habe ich verschlungen, etwa „Die Liebe und ihr Henker“, „Die rote Couch“ und „Die Schopenhauer-Kur“. Nun hat Yalom also seine Memoiren geschrieben.
Als Sohn russischer Einwanderer 1931 geboren, ist er einer der bekanntesten Psychoanalytiker der USA und Bestsellerautor. Mit inzwischen 86 Jahren blickt er auf ein erfülltes Leben zurück: Er berichtet offen von seiner Kindheit in ärmlichen Verhältnissen, seiner medizinische Ausbildung, den Kämpfen der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen, von wohlwollenden Mentoren, enttäuschenden Erfahrungen mit Berühmtheiten und Drogenexperimenten, aber auch von privatem Glück mit seiner Frau Marilyn, Reisen und guten Freunden.
Yalom schreibt wie ein Chronist, genau, sachlich, der Reihe nach. So kann man als LeserIn den Werdegang dieses eigenwilligen großen Psychotherapeuten, der sich immer durch seine Menschlichkeit ausgezeichnet hat, genau verfolgen. Parallel dazu ist es auch ein Stück Zeitgeschichte. Die Autobiographie ist interessant für diejenigen, die Yalom über seine Romane kennen und schätzen, ebenso für alle diejenigen, die sich für Psychotherapie interessieren 

Mittwoch, 29. November 2017

Roadtrip

Tim Bauerschmidt, Ramie Liddle: Driving Miss Norma. Sag ja zum Leben. 286 Seiten. Heyne. 18.00 € 
Norma Bauerschmidt ist 90 Jahre alt und erst seit kurzem verwitwet, als bei ihr ein bösartiger Krebs diagnostiziert wird. Das Programm der Ärzte sieht Operation und Chemotherapie vor. Doch Miss Norma beschließt, stattdessen gemeinsam mit Sohn Tim, Schwiegertochter Ramie und dem Familienpudel Ringo zu ihrer letzten großen Reise aufzubrechen. Gemeinsam machen sie sich mit einem Wohnmobil auf einen Roadtrip quer durch die Vereinigten Staaten auf. Jeder Tag bietet Unbekanntes, dem sich die Reisegefährten stellen müssen. Norma nimmt die Herausforderung an, stellt sich ihren Ängsten und holt vieles von dem nach, was sie in ihrem bisherigen Leben versäumt hat. Per Facebook darf die Öffentlichkeit an diesem Abenteuer teilnehmen. Auf den Fotos sieht man Norma fröhlich lachend. In kurzer Zeit hat die alte Dame tausende Fans. Doch trotz Glücksgefühlen und Abenteuerlust muss sich die kleine Reisegruppe schließlich der Realität stellen. Normas Gesundheitszustand verschlechtert sich nach einigen Monaten rapide. So mutig, wie sie gelebt hat, geht sie, von ihren Kinder und der Mitarbeiterin eines ambulanten Hospizes betreut, auf die Reise ohne Wiederkehr.
„Driving Miss Norma“ ist die sehr persönliche Beschreibung eines Roadtrips, der in Rückblenden auch einiges vom Vorleben der Personen preisgibt. Mir gefällt besonders die Ehrlichkeit, mit der auch emotionale und praktische Probleme nicht ausgeblendet werden. Das Autorenpaar Tim und Ramie beschreibt abwechselnd in schlichten Worten, warmherzig, lebensbejahend und voll positiver Emotionen ein intensives Jahr des gemeinsamen Lebens im Angesicht des Todes. Am Ende haben nicht nur die Beteiligten viel voneinander erfahren und gelernt, sondern gewiss auch die Leserschaft. Ich nehme jedenfalls mit, dass es nie zu spät ist, glücklich zu sein – wenn man es will!

Montag, 20. November 2017

Helikopter-Eltern im Anflug

Lena Greiner, Carola Padtberg: Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag. 222 Seiten, 9,99 € , Ullstein Verlag.
„Heute werden die Kinder eben anders erzogen als früher“, bemerkte eine ältere Dame spitz zu mir, während die Eltern eines Vierjährigen entzückt zusahen, wie er begeistert Sahne auf dem Tisch verteilte. Dieses Buch ist dafür ein guter Beleg. Es beschreibt Helikopter-Eltern, die ihre Premium-Kids bis zur Selbstaufgabe umkreisen. Ihre Aktivitäten sind hier in die Lebensphasen des Nachwuchses eingeteilt: Schwangerschaft, Kita, Schulweg, Schule inklusive Gang zum Gericht, Krankheiten, Uni und Ausbildung. Dabei handelt sich keineswegs um einen Erziehungsratgeber mit pädagogisch erhobenem Zeigefinger, sondern um eine skurrile Sammlung von Erlebnissen, die Hebammen, ErzieherInnnen, LehrerInnen, AnwältInnen, ÄrztInnen und ProfessorInnen den Autorinnen - beide Journalistinnen bei Spiegel Online -  vermittelt haben. Da trägt eine Mutter trotz Bandscheibenvorfall ihren Zweijährigen auf dem Arm, weil der partout nicht in den Buggy will. Eine andere gibt in der Kita die Anweisung, dass man ihrem Augenstern bei exakt 18,5 Grad der Pulli anziehen soll. Ein 15jähriger darf nicht allein mit der U-Bahn fahren und ein Vater erkundigt sich beim Professor nach den Noten seines studierende Sohnes  – das alles liest sich sehr lustig, wenn die Tatsachen nicht so traurig wären. Am Ende hat das Buch durchaus eine Ratgeberfunktion, aber durch die Hintertür. Vielleicht erkennt sich ja  jemand selbstkritisch wieder.
Liebe Autorinnen, hier kommt mein verspäteter Beitrag: Kürzlich in einer Boutique in Hamburg-Eppendorf (entspricht Berlin-Prenzlauer Berg). Eine Mutter probiert ein teures Outfit, ihr fünfjähriger Sohn schlägt derweil mit einer Metallschnalle auf den Spiegel ein. Die Verkäuferin macht sehr freundlich darauf aufmerksam, der Spiegel könne kaputtgehen. Darauf die Eppendorf-Mutter empört: „Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, dass sich mein Sohn verletzen könnte!“
  



Montag, 13. November 2017

Zeitreise


Jürgen Hunke: Du wirst 70. Freu dich drauf. Und: Zeitreise. Mein Leben in Stichworten.19,90 €.  Mikado Verlag
Ich lese gerne Ratgeber von erfolgreichen Menschen. Sie haben meist etwas Interessantes zu sagen. Jürgen Hunke. Jahrgang 1943,  ist so einer: Unternehmer, Galerist, Privatier und Mäzen. Außerdem hat er hat seinen eigenen Verlag Mikado gegründet, in dem er seine Bücher herausbringt - eben auch dieses Doppelbuch. Es gibt also 2 Bücher in einem. Und die haben mich unterschiedlich angesprochen:
Buch Nr. 1 befasst sich mit umfassenden Tipps fürs Alter. Zum Beispiel: Ernährung, Gesundheit, Wohnformen, Internet, Vorsorge. Die Ratschläge sind durchaus richtig und praktisch, werden aber sehr allgemein dargeboten. Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Persönliches, eigene Erlebnisse, eingeflossen wären. So sind es eher Statements, die den Kopf erreichen, aber nicht das Herz berühren.
Buch Nr. 2, „Zeitreise“, gefällt mir aus genau diesem Grund:  Die Persönlichkeit wird sichtbar. Schließlich sind es doch vor allem die Erfahrungen, von denen man als LeserIn profitiert. Hier zeigt sich ein engagierter Mann, der sich um seine Umwelt Gedanken macht. Die vielfältigen Themen sind unter anderem: Altersarmut, Ehrenamt, Karriere, Religion, Politik, Lebensplanung, Familie.
Ich finde es großartig, dass sich eine Persönlichkeit wie Jürgen Hunke auf diese Weise mitteilt. Wir brauchen erfolgreiche, eigenwillige Menschen, die nicht nur an sich denken, sondern sich auch Gedanken um das Wohlergehen anderer machen. In diesem Sinne sind es zwei lesenswerte Bücher.

Mittwoch, 8. November 2017

Neunmal Romantik

Jojo Moyes: Kleine Fluchten. Geschichten vom Hoffen und Wünschen. 137 Seiten, 12.- €. Wunderlich

Ich habe schon mit Vergnügen zwei Bücher von Jojo Moyes gelesen. Sie hat einen ganz eigenen, warmherzigen Schreibstil, der immer voller Mitgefühl für ihre ProtagonistInnen ist. Der zeigt sich auch in diesen neun Kurzgeschichten: Der Mantel vom letzten Jahr. Ein Spatz in der Hand. Der Wunschzettel. Krokodilschuhe. Liebe am Nachmittag. Holdups. Dreizehn Tage mit John C. Between the Tweets. Margot. 
Die Storys erzählen vom kleinen, alltäglichen Glück und Unglück ganz normaler Menschen, von ihren Sehnsüchten nach einem anderen, besseren Leben. Das ist anrührend und manchmal überraschend, romantisch, aber nie kitschig. Verstärkt wird die Wirkung noch durch stimmungsvolle farbige Illustrationen von Daniela Terrazini.  
Die Lektüre bietet auch kleine angenehme Fluchten in eine andere Welt für Leserinnen – es ist sicher mehr ein Buch für Frauen als für Männer. Mit seinem handlichen Format begleitet es in die S-Bahn oder abends ins Bett.  

Donnerstag, 2. November 2017

Bitte recht freundlich

Jens Weidner: Optimismus. Warum manche weiter kommen als andere. 218 Seiten, 19,95 €.

Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologe – vor allem aber ist er Vorstandsmitglied im Wirtschaftsclub  der Optimisten. Was beweist: Der Autor brennt für das Thema. Sein Buch basiert unter anderem auf den Daten einer Optimismus-Studie, die der Club beim renommierten Rheingold Marktforschungsinstitutes in Auftrag gegeben hat.
Als erstes erfährt man Historisches und Wissenswertes über Optimismus und Pessimismus. Danach kann man mit einem Fragebogen testen, welcher Optimismus-Typ man selbst ist. Im dritten Teil folgt eine differenzierte, kritische Betrachtung des Optimismus, immerhin kann die rosarote Brille auf der Nase eines naiven Menschen für ihn und andere gefährlich werden. Ideal erscheint der „Best-of-Optimist", der ebenso vorsichtig wie hoffnungsvoll ist, sich freundlich zeigt, aber auch anders kann. In den folgenden Teilen geht es um Strategien, wie ein gesunder Optimismus lebenslang umzusetzen ist, auch in schwierigen Situationen. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung von 25 Praxistipps.
Weidner schreibt anschaulich und trotz aller Wissenschaftlichkeit sehr gut verständlich. Schön sind die vielen Beispiele, auch aus eigener Erfahrung. Ein anregendes und informatives Buch, das Lust macht, einen eigenen Optimisten-Club zu gründen - notfalls mit nur einem Mitglied.  

Samstag, 28. Oktober 2017

Black & White

Irene Dische: Schwarz und Weiß. 496 Seiten. 26.-€ .Hoffmann und Campe 
Ich habe Irene Disches „Großmama packt aus“ und „Fromme Lügen“ mit Vergnügen gelesen. Von daher war ich gespannt auf ihren neuen Roman, mit fast 500 Seiten ein wahrhaft mächtiges Buch.  Auch inhaltlich gibt es sich üppig. Es beginnt in den 1970er Jahren und endet in der Gegenwart. Dazwischen nimmt es alles an Zeitgeschichte und Gesellschaft im Schmelztiegel New York mit.
Im Zentrum steht eine Mischehe: Lili ist die schöne Tochter eines jüdischen Künstlerpaares, der dunkelhäutige Duke kommt aus dem Süden der USA. Die beiden verlieben sich heftig ineinander und heiraten schließlich. Lilis liberale Eltern nehmen den Mann ihrer Tochter gerne in die Familie auf. Unerwartet macht Duke Karriere als Weinverkoster, die Krankenschwester Lili wird als  Model entdeckt. Sie werden zum Glamourpaar, das mit Geld nur so um sich wirft. Auf leidenschaftliche Liebe und berufliche Highlights folgt der Absturz. Schließlich endet alles in einer tödlichen Katastrophe.    
Irene Dische entfacht ein Feuerwerk an fantastischen Wendungen und scharf  beobachtetem  Verhalten verschiedener Gesellschaftsschichten. Allerdings schreibt sie so distanziert, und  wenig empathisch, dass mich die Protagonisten nicht berührt haben. Das ist gewiss Geschmackssache, aber ich lese lieber Bücher, die nicht nur mit kühlem Kopf geschrieben sind. Wer das jedoch mag, hat mit dem Buch gewiss einen interessanten Fundus.  .

Montag, 23. Oktober 2017

Hashimoto ist kein Sushi

Suzy Cohen: Schlank und schön trotz Hashimoto: Wie Sie Ihre Schilddrüsen-Gesundheit optimieren. 297 Seiten.14,99 € , mvgverlag

Medizinische Themen sind ja eher die Ausnahme auf meinem Rezensionsblog. Aber dieses Buch hier zu besprechen sehe ich jetzt mal als meine Mission an, zumal ich selbst betroffen bin: Über zehn Millionen - vor allem Frauen - leiden an Hashimoto, einer Autoimmunkrankheit, die die Schilddrüse angreift. Die Folgen sind meist diffus, etwa Schlafstörungen oder Gewichtsprobleme, so dass oft eine falsche Diagnose gestellt wird. Wer allerdings weiß, was er hat, braucht zusätzliche Informationen, mehr als die meisten Ärzte geben (können). Hier hilft Suzy Cohens Buch. Es hat 6 umfangreiche Teile: Die Schilddrüse. Die Schilddrüsentests. Nährstoffräuber. Störungen, die von der Schilddrüse ausgehen können. Die Behandlung der Schilddrüse. Endlich schilddrüsengesund.
Der Titel „Schlank und schön…“ soll natürlich zum Lesen verlocken (sorry, ich bin weder dick noch hässlich), aber im Kern geht es umfassend um Gesundheit. Für Betroffene lohnt es sich, das verständlich und kompetent geschriebene Buch durchzuarbeiten, doch auch schon beim schnellen Hineinlesen kriegt man viele gute Tipps, etwa zur Ernährung. Ich hoffe, dass viele meiner „LeidensgenossInnen“ darin Anregungen finden – und demnächst bespreche ich dann auch wieder Literarisches und Psychologisches.
.
   

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Hammermäßig!

Jen Sincero: Du bist der Hammer! Hör endlich auf, an deiner Großartigkeit zu zweifeln, und beginn ein fantastisches Leben.300 Seiten. 16,99 €. Ariston Verlag

jen Sinceros Buch ist frech, warmherzig und inspirierend. Es geht um Selbstliebe, und das in 5 Teilen:1. Wie Sie zu dem wurden, was Sie sind. 2. Wie Sie Ihren inneren Hammertypen finden. 3. Wie Sie sich mit der Ursprungsenergie verbinden.  4. Wie Sie endlich den GS (Ihr Ego) überwinden. 5. Wie Sie so richtig durchstarten.
Der Inhalt ist ein Mix aus eigener Erfahrung, psychologischer Technik   und esoterischen Weisheiten. Das ist nicht wirklich neu, aber äußerst anregend zusammengestellt. An dieser Stelle auch ein großes Lob für das Layout: Es macht mit sinnvollen Abschnitten und Hervorhebung von Kernsätzen das Buch gut lesbar. Sinceros Sprache ist teilweise arg salopp (das hätte man sicher stellenweise mit einer passenden Übersetzung reduzieren können). Dennoch ist dieses Buch zu empfehlen. Man spürt, dass die Autorin authentisch für das steht, was sie vermittelt. Tatsächlich lebt sie ihren Traum, reist ohne festen Wohnsitz  durch die Welt und ermutigt als Coach und Referentin Menschen, frei und selbstbewusst zu leben. Nach der Lektüre fragt man sich voller Schwung: Ja, was hindert mich denn eigentlich, zu bekommen, was ich möchte? Schließlich bin ich doch der Hammer!  

Sonntag, 8. Oktober 2017

Persönliche Buchmesse

Jean-Philipp Delhomme: Die Sache mit der Literatur. 96 Seiten. 20.-€. Liebeskind

Ich liebe Cartoons! Den guten unter ihnen gelingt es mühelos, per Bild und kurzem Text Zusammenhänge zu erläutern und Situationen zu verdichten. Meist zaubern sie beim Betrachten ein Lächeln aufs Gesicht – man freut sich, etwas verstanden oder wiedererkannt zu haben.
Jean-Philipp Delhomme hat sich dazu die Welt der Schriftsteller ausgesucht. Mit feiner Beobachtungsgabe und bissigem Humor nimmt er die großen und kleinen Schwächen der Literaten und ihrer Bewunderer aufs Korn. Deren Empfindlichkeiten und Eitelkeiten markiert er mit Sätzen wie: „Es war eine große Enttäuschung, zu sehen, wie ein amerikanischer Autor, den wir sehr verehrten, einem luxuriösen SUV entstieg“ oder „Man hat mir bestätigt, dass eine euphorische Kurzkritik meines Romans in der Apothekenumschau Wellen schlagen würde. Meine Pressagentin meint, dies sei absolut `richtungsweisend`“. Jeder Cartoon - der jeweils eine Buchseite einnimmt -, ist ein kleines malerisches Kunstwerk, das man sich gerahmt ins Zimmer hängen könnte.Schließlich ist Delhomme auch ein bekannter Illustrator, der schon für große Zeitschriften gearbeitet hat.
Der Bildband ist optisch eine Augenweide und inhaltlich ein großes Vergnügen – nicht nur für Mitglieder des Literaturbetriebes.  

Montag, 2. Oktober 2017

Albtraum Liebe

Jessica Schulte am Hülse: Verrat. Sieben Verbrechen an der Liebe.256 Seiten. 19,99 €, Blessing Verlag
Unter dem Buchtitel hatte ich mir spektakuläre Dramen versprochen, stilistisch opulent aufbereitet. Umso überraschender war für mich die Lektüre: Die Autorin beschreibt in sieben Kurzgeschichten als kühle Beobachterin fast protokollarisch, wie schmerzhaft Liebe scheitern kann. Gerade durch die distanzierte Sachlichkeit, verbunden mit sensiblem Gespür für die Protagonisten, entfalten die auf wahren Erlebnissen beruhenden Geschichten ihre intensive Wirkung:
Ein gefühlskalter Chirurg plant seine Familiengründung wie seine Karriere, doch seine Frau hat ein Geheimnis. Ein junger Anwalt verliebt sich in einen Zwilling, versagt aber bei einem Test der Schwestern. Die Liebe einer jungen Pharmazeutin zu einem treulosen Hochstapler endet in Selbstzerstörung. Eine junge Türkin scheitert fast am Zwiespalt zwischen Tradition und moderner Lebensart. Eine Frau lässt um den Preis des Verrats von Familien und Freunden ihre Vergangenheit hinter sich. Ein willensschwacher Amerikaner wird aus Bequemlichkeit in Deutschland zum Bigamisten. Eine junge Frau zerbricht fast an der notorischen Untreue ihres narzißtischen Ehemanns.
Die sieben Geschichten haben ihre eigene Spannung und gehen unter die Haut. Ein Buch wie ein Krimi, nur dass die Verbrechen hier auf emotionaler Ebene stattfinden.  

Donnerstag, 21. September 2017

Böse Alte

Nicholas Searle: Das Alte Böse. Thriller. 365 Seiten, 19,95 €. Kindler

Krimis sind eigentlich nicht meine Domäne, schon gar nicht, wenn darin detailliert eklige Grausamkeiten beschrieben werden. Aber für psychologisch  feinsinnige Krimis à la Patricia Highsmith oder George Simenon habe ich durchaus etwas übrig. Dieser hier ist so einer, in bester Tradition:     
Roy und Betty, beide über 80 Jahre alt, lernen sich über ein Dating-Portal kennen. Schnell ziehen sie zusammen. Roy zeigt auffälliges Interesse an Bettys finanzieller Situation. In Rückblenden erfährt man, dass er früher in Betrügereien verwickelt war und überhaupt eine reichlich undurchsichtige Vergangenheit hat. Betty ist gebildet, selbstbewusst und klug. Offenbar durchschaut sie Roy und man fragt sich, warum sie es mit diesem unsympathischen Menschen überhaupt aushält. Doch das hat seine Gründe, die sich erst langsam erschließen. In Rückblenden wird das Zusammenleben der alten Leute immer wieder mit ihrer jeweiligen Vergangenheit verschränkt. Die entpuppt sich nach und nach für beide als brisant und schockierend. Schließlich holt Roy zum finalen Coup aus und vermittelt Betty einen betrügerischen Finanzberater, um an ihr Vermögen zu kommen. Doch Betty ist keineswegs so harmlos, wie es anfangs erscheint. Es kommt zu einer überraschenden Wendung – die ich hier natürlich nicht verrate.
Die Geschichte über ein Verbrechen in der Vergangenheit und seine Sühne ist spannend und unterhaltsam erzählt. Ein intelligentes Lesevergnügen auch für diejenigen, die keine erklärten Krimifans sind.

Donnerstag, 7. September 2017

Kind der Liebe

Sandra Schulz: „Das ganze Kind hat so viele Fehler“. Die Geschichte einer Entscheidung aus Liebe. 235 Seiten. 14,90 €. Rowohlt Polaris

Sandra Schulz entscheidet sich zu Beginn ihrer Schwangerschaft, die moderne Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen, um Sicherheit zu haben, dass ihr Kind gesund ist. Sie muss erfahren, dass es das Down-Syndrom hat. Zudem kommen noch schwere Anomalien wie ein Herzfehler und ein Wasserkopf dazu. Damit beginnt eine unglaublich harte Zeit, in der Sandra emotionale Höhen und Tiefen durchlebt, eine Zeit voller Konflikte: Soll sie das Kind bekommen oder einer legalen Abtreibung zustimmen? Die Ärzte sind dabei keine große Hilfe, denn außer einer aktuellen Diagnose können sie kaum Voraussagen machen. Die Pränataldiagnostiker raten zum Abbruch, ein Kinderarzt macht Mut. Auch die Umgebung, Eltern und Freunde reagieren ambivalent. Trotz aller psychischen und körperlichen Probleme wächst in Sandra die Liebe zu ihrem ungeborenen Kind und sie kämpft dafür, dass es überlebt, im Mutterleib und später als Frühchen im Krankenhaus. Dabei steht ihr ihr Ehemann Christoph bewundernswert zur Seite. Das Buch endet mit dem zweiten Lebensjahr der kleinen Marja, die sich gut entwickelt hat. Man spürt die Liebe der Eltern zu ihrem behinderten Kind und ihre Gewissheit, die für sie richtige Entscheidung getroffen zu haben.  
Ein ehrliches Buch, das werdenden Eltern eine Hilfe sein kann, bei der Frage, ob sie die pränatale Diagnostik nutzen wollen und welche Konflikte dadurch gegebenenfalls entstehen. Es ist subjektiv geschrieben und wird an keiner Stelle moralisch. Nicht betroffene LeserInnen werden erkennen, wie dankbar man sein darf, wenn einen das Schicksal nicht in dieser Weise herausfordert.
Mir hat die Erfahrung von Sandra Schulz noch eine persönliche Erkenntnis gebracht: Meine Schwester hatte das Down-Syndrom. Als sie geboren wurde, kannte man noch keine pränatale Diagnostik. Mir scheint, dass die heutigen medizinischen Möglichkeiten das Leben komplizierter machen, der Preis für das Wissen ist hoch - aber es gibt uns auch die Freiheit der Entscheidung.    

Montag, 4. September 2017

Gesundbrunnen

Dr. Bertil Marklund: 10 Jahre länger leben. Die kurze Anleitung für ein gesundes und glückliches Leben. 171 Seiten. Ullstein. 10.-€

In meinem Regal stehen zahlreiche Ratgeber zu allgemeinen Gesundheitsthemen. Gute Bücher, zweifellos, aber doch oft so detailliert, dass es beim Lesen bleibt, weil die Umsetzung zu aufwändig ist. Das kleine gelbe Büchlein des schwedischen Professors für Allgemeinmedizin hebt sich wohltuend davon ab. Man bekommt Lust, die klaren und präzisen Hinweise sofort umzusetzen. Es enthält zehn Tipps in zehn Kapiteln: 1. Bewegung wirkt verjüngend. 2. Zeit für Regeneration.3 Schlaf stärkt. 4. Sonnenbaden, aber in Maßen. 5. Essen Sie sich gesund. 6. Trinken Sie das Richtige. 7. Behalten Sie Ihr Gewicht im Auge. 8. Mundgesundheit ist gleich allgemeine Gesundheit. 9. Bleiben Sie optimistisch. 10. Wir brauchen einander.
Eigentlich nichts, was wir nicht schon wüssten. Aber hier ist es zu einer kurzen, praktischen und überzeugenden Anleitung zusammengefasst. Einfach, aber nicht banal – dafür steht schon der wissenschaftliche Hintergrund und die Kompetenz des Autors. Das handliche kleine Buch ist ein guter Begleiter für die tägliche Gesundheit. Es inspiriert dazu, immer wieder mal hineinzuschauen und die eigenen Gewohnheiten zu korrigieren. Ob ich dadurch tatsächlich 10 Jahre länger lebe? Dr. Marklunds Tipps sind jedenfalls ziemlich überzeugend.

Montag, 14. August 2017

Kamera läuft...

Florian Mück, John Zimmer: Der TED-Effekt. Wie man perfekt visuell präsentiert – für TED-Talks, YouTube, Facebook und Videokonferenzen & Co. 220 Seiten. 17,99 €. Redline Verlag
Haben Sie schon mal versucht, ein Thema, dass Ihnen am Herzen liegt, in einer Viertelstunde zu vermitteln? Auf Events und auf meinem Youtube-Kanal habe ich dazu öfter die Gelegenheit und kann Ihnen versichern: Sich kurzzufassen ist besonders schwierig und erfordert gründliche Vorbereitung.
Inzwischen gibt es im Internet sogenannte TED-Talks, in denen Experten innerhalb von 18 Minuten in einem Video zu allen möglichen interessanten Themen sprechen. (TED steht für  Technik, Entertainment und Design“. Ursprünglich war das der Titel einer Konferenz zu diesen drei Bereichen.) TED-Talks sind bekannt für ihre Qualität, sowohl vom Inhalt als auch von der Darstellung. Wenn die Autoren also einen „TED-Effekt“ erreichen wollen, dann geht es ihnen um eine besonders hochkarätige visuelle Präsentation. Das bezieht sich auf Internetauftritte wie bei Facebook oder Youtube, aber auch live vor Publikum. 
Dazu geben Mück und Zimmer jede Menge praktischer Tipps: Wie man sich richtig vorbereitet. Wie man visuelle Hilfsmittel einsetzt, wie man mit den Tücken der Technik umgeht, wie man sich vor der Kamera positioniert und wie man mit Geschichten fasziniert. Zwischendurch streuen sie humorvoll ihre eigenen Erfahrungen ein.
Ein informatives Buch, zudem gut aufgebaut und locker geschrieben. Ein echter Gewinn für alle, die mit ihrem (kurzen) Vortrag ein Publikum fesseln und überzeugen möchten..

Dienstag, 8. August 2017

Kompetenz zeigen

Jack Nasher: Überzeugt. Wie Sie Kompetenz zeigen und Menschen für sich gewinnen. 252 Seiten. Campus. 24,95 €

Seit ich Jack Nashers Buch „Deal“ gelesen habe, weiß ich: Er ist ein Schlitzohr auf wissenschaftlicher Basis. Das bestätigt mir auch sein neues Buch. Beim Lesen fühlte ich mich hin- und hergerissen zwischen Abneigung „Das sind Tricks für Scharlatane“ und Begeisterung „Das ist bestes Handwerkszeug, um  mit Kompetenz zu überzeugen.
Doch nun zum Inhalt:
Wer im Berufsleben etwas erreichen will, muss kompetent sein. Allerdings sind Menschen generell kaum in der Lage, wahre Kompetenz zu erkennen. So spielte in einem Experiment ein weltberühmter Stargeiger in der U-Bahnstation einer amerikanischen Großstadt - und kaum jemand nahm von seiner Virtuosität Notiz. Was beweist: Kompetenz allein nutzt wenig, man muss sie auch passend verkaufen. Nasher, Professor an der Munich Business School, gibt dazu auf der Basis zahlreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Anleitung: Wie man spricht, wie man sich bewegt und kleidet, wie man gute und schlechte Nachrichten überbringt, wie man sich beliebt macht oder für eine größere Attraktivität sorgt. Eine Kernthese aber ist seine Forderung , sich von Bescheidenheit zu verabschieden. Kategorisch erklärt er: „Bescheidenheit hat im beruflichen Umfeld nichts verloren." Sie wird nämlich meist mit Unsicherheit und Feigheit assoziiert und als Schutzschild vor möglichem Versagen gedeutet.
Ein faszinierendes Buch mit vielen praktischen Tipps. Meinen inneren Widespruch dazu habe ich so aufgelöst: Mit einem Messer kann man Rosen schneiden oder jemanden umbringen. Wenn Schaumschläger die guten Tipps zur Selbstvermarktung nutzen, werden sie hoffentlich früher oder später entlarvt. Für kompetente Menschen sind die Tools sehr nützlich, denn so werden sie nicht länger übersehen.

Freitag, 4. August 2017

Pflanzenkunde

Thomas Hohensee: Die Löwenzahnstrategie. Blüh auf, sei wild und unbezähmbar175 Seiten. Integral. 16,99 €

Ich gebe zu, Bücher mit der Endung „-strategie“ habe ich bisher mit Skepsis betrachtet. Sie wird gerne an irgendwelche Tiere angehängt, etwa Mäuse, Pinguine oder Bären, um auf diese Weise simple Weisheiten aufzupeppen. Umso neugieriger war ich, was der von mir geschätzte Autor Thomas Hohensee mit seiner Strategie verfolgt.
Mir war schnell klar: Dieses Buch ist anders. Kein aufgemotzter Business-Ratgeber, sondern ein bezauberndes Buch, das Mut zu einem selbstbestimmten Leben macht. Die Pflanze wird als Beispiel für zahlreiche Aspekte zitiert, die sie auszeichnen und die sich auf  unser Dasein übertragen lassen. Dazu gibt es je ein Kapitel, etwa „Tue das, was du am besten kannst“, „Nutze günstige Gelegenheiten“, „Übe dich in der Kunst, das Mögliche zu tun“ oder „Spüre deine Stärke“.
Charmant ist dabei der Einstieg in jedes Kapitel: Der Autor lässt den Löwenzahn selbst  zu Wort kommen. Der erzählt zum Beispiel unter der Überschrift „Nutze günstige Gelegenheiten“, wie geschickt er ein Areal in einer Woche mit gelben Blüten überzieht. Auf diese Weise wird jeweils eine Verbindung von Eigenschaften der Pflanze zu einem guten Rat für die LeserInnen geschaffen.
Ein liebenswürdiges Buch, das beim Lesen glücklich macht und rundum anregt. Ach ja, den Löwenzahn werde ich ab jetzt mit Respekt betrachten.     

Freitag, 28. Juli 2017

Familienchronik

Friederike Oeschger, Babette Radke: Die Mossdorfs. Das Schicksal einer Berliner Familie im 20. Jahrhundert. 320 Seiten. 22.- €. Hoffmann und Campe

Manchmal kommt man auf Umwegen zu einem Buchtipp: Auf einem Event erzählte mir Friederike Oeschger, dass ihre Familiengeschichte als Buch erschienen sei. Ich war neugierig – und entdeckte eine Lektüre so interessant wie eine TV-Dokumentation und berührend wie ein Historienfilm.
90 Jahre lang war die Familie Mossdorf in der Prinzregentenstraße 83 in Berlin-Wilmersdorf zu Hause. Nach dem Tod von Rosemarie Mossdorf, der letzten Bewohnerin, finden ihre Nichten Friederike und Babette bei der Wohnungsauflösung zahllose Briefe, Tagebücher und Fotoalben von Familienmitgliedern. Die Nachkommen beschließen, diesen Schatz aufzuarbeiten. Die Geschichte der gutbürgerlichen Familie Mossdorf vom Kaiserreich über den Nationalsozialismus bis hin zum Mauerfall erlaubt einen besonderen Einblick in die Zeit. Sie beginnt mit Otto Mossdorf, der als junger preußischer Offizier die wohlhabende, patente Else Krause heiratet und endet mit ihrem jüngsten Sohn Carl-Friedrich, dem Vater der beiden Autorinnen.
Belegt wird die Chronik mit vielen Zitaten und Fotos. Besonders angenehm ist die sachliche Beschreibung der Ereignisse. Hier hat gewiss die kundige Hand des Co-Autors Michael Seufert gewirkt, ehemals Journalist beim „Stern“. Auf emotionale Effekte oder Urteile wird verzichtet, so dass es dem Leser und der Leserin überlassen bleibt, sich eine Meinung zu bilden. Allenfalls blitzt manchmal eine charmante Ironie durch. Etwa als die monarchietreue Else mit ihrer Tochter während einer Reise auf Madeira zur Grabeskirche Karls von Habsburg, dem letzten Kaiser von Österreich-Ungarn, pilgert. Da heißt es kurz: „Aber auch ein toter Kaiser war allemal einen Besuch wert.“ 
Ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich für Familiengeschichte und historische Zusammenhänge interessieren.
 

Sonntag, 23. Juli 2017

Es brennt!

Anja Förster & Peter Kreuz: Zündstoff für Andersdenker. 173 Seiten. 24,90 €. Murmann Verlag

Wenn wir ein Streichholz anzünden, gibt es zwei Möglichkeiten: Wir blasen es aus, bevor wir uns die Finger verbrennen – oder wir zünden damit eine Kerze oder den Grill an und haben lange etwas davon. Das ist unsere Wahl. Das Buch von Förster und Kreuz steckt jedenfalls voll  mentalem Zündstoff, von dem wir uns entweder kurzfristig inspirieren lassen oder den wir als Anstoß für eine dauerhafte Veränderung nehmen können. Themen sind unter anderem Initiative, Kreativität, Engagement, Authentizität, Teamwork, Fantasie, Mitarbeiterführung – so ziemlich alles, was in der Wirtschaft von Bedeutung ist. Jedes Kapitel steht für  sich und beleuchtet auf 2, 3 Seiten einen Aspekt. Dazu steigt das Autorenpaar jeweils mit einer ungewöhnlichen Story ein, wie wir sie aus ihren Blogs, Kolumnen und Newsletters kennen. Etwa die von Ella Fitzgerald. Als sie bei einem Auftritt den Songtext vergessen hatte, improvisierte sie erfolgreich – hier ein Beispiel für den Wert von flexiblen, individuellen Reaktionen, und ein Lob der Unvollkommenheit.
Insgesamt viel Anregung zum Quer- und Selberdenken, im gewohnt lässigen und gleichzeitig präzisen Förster-Kreuz-Sprech.
Der Zündstoff ist in einer attraktiven Box verpackt: Großzügiges Layout und viele farbige grafische Illustrationen (sinnig: alle in gelb-rot wie Feuer).
Streichhölzer? Für manche vermutlich ein Molotowcocktail.       

Dienstag, 18. Juli 2017

Bestes Handwerkszeug zum Bloggen

Markus Cerenak: Erfolgsfaktor Bloggen. 259 Seiten. 22,90 €. Gabal Verlag

Mit Lust und Leidenschaft fülle ich diesen Rezensionsblog und auch den Blog „Eva Wlodarek schreibt“ (http://wlodarek.blogspot.de/), in dem ich allerlei rund um die Psychologie betrachte. So ist es kein Wunder, dass mich das Thema von Cerenaks Buch interessierte. Gewiss geht das auch vielen anderen so, die schon einen Blog betreiben oder es vorhaben, weil sie sich gerne mitteilen. Der Autor verspricht, alles zu liefern, was man braucht, um einen Blog zu starten oder einen bestehenden noch erfolgreicher zu machen. Dieses Versprechen hält er zu 100 Prozent. Er informiert nicht nur über methodische Details, sondern geht grundlegenden Fragen nach: Warum blogge ich? Was will ich vermitteln? Wie erreiche ich meine LeserInnen? Welche Fehler kann ich vermeiden? Dabei schreibt er so verständlich und locker, dass auch diejenigen, die (wie ich!) in puncto Technik eher scheu sind, mit Sicherheit alles bestens nachvollziehen können. Und damit es nicht nur bei der Theorie bleibt, gibt es nach jedem Kapitel konkrete Aufgaben, die Anfänger und Profis weiterbringen. 
Das Buch hat mich begeistert und mir viele Aha-Erlebnisse beschert. Eine wahre Bibel für Blogger und solche, die es jetzt endlich werden wollen. Ganz nebenbei enthält es auch wertvolle Hinweise für alle, die Artikel oder Bücher schreiben.
.  

Samstag, 15. Juli 2017

Rück- und Vorschau

Michael Jürgs: Gestern waren wir noch jung. Eine Liebeserklärung an aufregende Zeiten. 343 Seiten. 19,99 €. C.Bertelsmann.

Ich habe Michael Jürgs noch als jungen Mann kennengelernt - er saß im berühmten „Affenfelsen“ von Gruner & Jahr beim "Stern", ich bei der „Brigitte“. Tempi passati. Jetzt  hat er also mit 72 Jahren ein Buch über die alten Zeiten  geschrieben. Am Anfang bringt er auch tatsächlich eine Rückschau auf die Sixties und Seventies: Die APO, Studentenrevolten, die Beatles, Willy Brandt. Doch dann ist auch Schluss mit allgemein teilbaren Erinnerungen. Ab da geht es vor allem um die Veränderung im Journalismus. Jürgs schlägt ausführlich den Bogen von der analogen zur digitalen Welt und mischt dabei persönliche Erfahrungen in der Medienlandschaft mit profunden Kenntnissen, wie sie sich seit damals verändert hat. Das tut er mit einer sehr gekonnten Sprache, er ist halt Profi.
Das Buch ist interessant und informativ, ich habe es gerne gelesen. Allerdings bin ich etwas ratlos, welcher Zielgruppe ich es empfehlen soll. Für Nostalgiker ist es jedenfalls nicht so recht geeignet, die werden enttäuscht sein. Eigentlich ist es für diejenigen, die den Übergang vom analogen ins digitale Zeitalter mit dem Schwerpunkt „Medien“ nachvollziehen möchten.    

Donnerstag, 15. Juni 2017

Ganz schön farbig!



Haruki Murakami: Die Pilgerreise des farblosen Herrn Tazaki. 318 Seiten. 22,99 € . Dumont
Dieses Buch ist nicht das erste, das ich von dem japanischen Schriftsteller Murakami in die Hand bekommen habe. Ich habe „Gefährliche Geliebte“ und „Kafka am Strand“ gelesen und in „Von Beruf Schriftsteller“ einen Blick hinter die Kulissen seines Schreibens geworfen. Der Autor schafft es immer wieder, mit einer geheimnisvollen Mischung aus Realität und Traum eine faszinierende Atmosphäre zu kreieren. So auch in der „Pilgerreise“.
Der junge Tsukuru Tazaki ist Teil einer eingeschworenen Gruppe von fünf Freunden, die außer ihm alle eine Farbe in ihrem Namen tragen. Auch im übertragenen Sinne empfindet er sich als farblos, denn anders als seine Freunde hat er keine besonderen Fähigkeiten oder Vorlieben - bis auf sein spezielles Interesse für Bahnhöfe. Als er nach dem Schulabschluss die gemeinsame Heimatstadt Nagoya verlässt, um in Tokio ein Ingenieurstudium zu beginnen, bleibt die enge Freundschaft zunächst erhalten. Doch bei einem Besuch zuhause schneiden ihn seine Freunde plötzlich und verweigern jede Erklärung über den Grund. Verzweifelt kehrt Tsukuru nach Tokio zurück, vor Kummer dem Selbstmord nahe. Viele Jahre später offenbart der inzwischen 36-jährige seiner neuen Freundin Sara, dass er immer noch unter dieser unerklärlichen Abweisung seiner Jugendfreunde leidet. Sara ermutigt ihn, sie einzeln aufzusuchen und der Geschichte auf den Grund zu gehen, nur so könne er sich von den Schatten seiner Vergangenheit befreien und für eine Liebe offen werden. Tsukuru befolgt ihren Rat und macht eine Art Pilgerreise zu seinen alten Freunden. Was er dabei erfährt,will ich hier nicht verraten, damit die Spannung erhalten bleibt.
Murakamis Sprache ist einfach, klar und nicht besonders poetisch. Manche Stellen des Romans wirken, als wären sie vom Absolventen eines Schreibkurses verfasst worden, der brav die Anweisung befolgt, längere Dialoge mit Beschreibungen zu unterbrechen („Der Kellner stellte das Zitronensoufflé und den Espresso auf den Tisch. Sara aß mit Genuss. Offenbar hatte sie doch die richtige Wahl getroffen“.). Aber das sind nur Kleinigkeiten, über die ich als ehemalige Germanistin gestolpert bin. Die Magie dieses Buches entsteht nicht durch die Sprache, sondern durch den Inhalt, durch das Innenleben und die Erfahrung des Protagonisten. Das ist so spannend, dass ich das Buch an einem Wochenende ausgelesen habe.     


Samstag, 3. Juni 2017

Hundert Jahre Lebensfreude



Francesc  Miralles, Héctor Garcia: “Ikigai. Gesund und glücklich hundert werden“. 224 Seiten. Ullstein  17.- €,
Ganz ehrlich, bisher zählte es nicht zu meinen erklärten Wunschzielen, hundert Jahre alt zu werden. Verbindet man das doch meist mit vielen unangenehmen Einschränkungen. Die Autoren Francesc Miralles und Héctor Garcia setzen eine andere Sichtweise dagegen: Wenn wir unser „Ikigai“ – übersetzt etwa „Sinn des Lebens“ - finden, haben wir die Chance, bis ins hohe Alter ein gesundes und erfülltes Dasein zu führen. Dazu haben sie Bewohner der japanischen Insel Okinawa besucht, die auch als „Insel der Hundertjährigen“ bekannt ist. Die alten Menschen dort sind vital und glücklich. Ihr Geheimnis besteht darin, dass sie sich sehr gesund ernähren, sich regelmäßig bewegen, eine Aufgabe haben, die sie lieben und  gute soziale Beziehungen pflegen. Auf diese Weise zufrieden uralt zu werden, ist jedoch nicht die einzige Methode. Die die Autoren sprechen auch noch andere Aspekte an, wie das Glück im „Flow“, dem zeitlosen Zustand höchster Konzentration, oder das Bemühen, auch in negativen Ereignissen einen Sinn zu finden, wie es Viktor Frankl in seiner Logotherapie beschreibt.
Insgesamt bietet das Buch ein Puzzle zum Thema „Wie man ein glückliches langes Leben erreicht“.
Leider ist es mir nicht vergönnt, im Dorf Ogimi auf Okinawa meinen Garten zu bestellen und tagsüber entspannt mit den Dorfbewohnern zu plaudern. Ich lebe in einer Großstadt.und bin berufstätig. Für mich wie wohl für die meisten LeserInnen erfordert es deshalb schon einige Überlegungen, wie sich die guten Tipps fürs Ikigai auf die eigene Situation übertragen lassen. Doch  Anregung für ein glückliches langes Leben gibt das Buch allemal. Vielleicht klappt es dann ja auch mit den aktiven Hundert.