Samstag, 30. Juni 2018

Wellenreiten

William Finnegan: Barbarentage. 566 Seiten. 18.- €. Suhrkamp

Zwar habe ich noch nie auf einem Board gestanden, doch das hindert mich nicht, mich für alles zu begeistern, was mit Surfen zu tun hat. Etwa für Filme wie „Riding Giant“ und „Step into the Liquid“. Und nun für ein Buch, in dem es vor allem ums Wellenreiten geht.
William Finnegan, geboren 1952, aufgewachsen auf Hawaii, Journalist und Kriegsreporter, surft seit seinem 11 Lebensjahr. In seiner Autobiografie ist von seinem Beruf und seinen Beziehungen weniger die Rede als von den Hot Spots der Surferszene. Seine Leidenschaft führt ihn nach Honolulu, Maui, Australien, Asien, Afrika und Madeira. Er reist von Strand zu Strand, immer auf der Suche nach der idealen Welle. Egal an welcher Stelle man das Buch aufschlägt, es geht ums Surfen, mit sämtlichen Facetten. Seite 178: „Manchmal, vor allem, wenn ein Swell richtig feuerte, brach im Wasser eine Hektik aus, die an Wahnsinn grenzte.“ Seite 310: „Ich deutete das ganze Riff völlig falsch. Anscheinend kam es mir nie in den Sinn, einen Peak weiter unten entlang des Riffs zu suchen, wo mich ein machbarer Takeoff zu einer saubereren, besser laufenden Welle geführt hätte.“ Seite 440: „Meistens surfte er besser als ich, und in Delgada traute er sich ganz allein in ein windgepeitsches Tiefseegebiet jenseits des Point und jagte Monstern nach, von denen ich gar nichts wissen wollte.“ Dabei geht Finnegan ganz selbstverständlich davon aus, dass man weiß, was ein Cleanup-Set, ein Drop oder ein Goofyfoot ist. Zum Glück gibt es hinten ein Glossar der gängigen Begriffe.
Auf über fünfhundert Seiten so großartig über Wellen(reiten) zu schreiben, ist eine Kunst, die an Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ erinnert. Inhaltlich  hat das Buch jedoch kaum   Höhepunkte, vielmehr fließt es, wie das Wasser, wie das Leben. Man muss sich geduldig darauf einlassen, dann ist es faszinierend. Sonst wird man sich langweilen.      

Donnerstag, 21. Juni 2018

Möge die Macht mit dir sein!

Phil Stutz, Barry Michels: The Force. 346 Seiten. 20.- €. Arkana

Die Autoren, beide renommierte Psychotherapeuten, zählen zahlreiche US-Stars zu ihren Patienten. Aber auch die Probleme von weniger prominenten Menschen lösen sie mit ihren unorthodoxen Methoden. Ihr erster Ratgeber „The Tools“ (die deutschen Übersetzungen tragen englische Titel) habe ich mit großem Interesse gelesen. Darin geben sie mit fünf  Fantasieübungen wirkungsvolle Werkzeuge an die Hand, um Ängste und negatives Denken zu besiegen. Ihr neues Buch „The Force“ ist eine Fortsetzung und Erweiterung. Unter der „Force“ verstehen sie die Lebensenergie, die uns drängt, unser Potenzial zu erweitern. Ihr Gegenspieler ist eine geheimnisvolle Kraft, die in uns allen steckt. Sie hindert uns auf perfide Weise daran, uns zu entwickeln. Stutz und Michels bezeichnen sie als „Part X“. Tatsächlich kennt wohl jeder von uns innere Bremsen, die uns davon abhalten, ein erfülltes Leben zu führen, wie etwa Bequemlichkeit, Ängste, mangelnde Disziplin. In diesem Buch gibt es ebenfalls „Tools“. Mit ihnen soll Part X geschwächt werden. Sie heißen „Die Schwarze Sonne“, „Der Wirbel“, „Die Mutter“ und „Der Turm“. Im Gegensatz zum ersten Buch erschließt sich mir nicht, warum gerade diese Bilder gewählt wurden: Warum ist die Sonne schwarz? Wie schluckt die „Mutter“ die bedrückende Masse negativer Gedanken? Aber nun ja, man kann schließlich ausprobieren, ob es wirkt. Genial ist jedenfalls die Benennung von „Part X“, einer modernen Version des Teufels, der in uns gegen das Gute kämpft. Damit hat das Gefühl einen Namen und kann jederzeit identifiziert werden.
Die Grundidee der Therapeuten, mit inneren Bildern gegen mentale und emotionale Beeinträchtigungen vorzugehen, ist faszinierend. Dazu geben sie LeserInnen gutes Werkzeug an die Hand. Ihre Mischung aus Schamanismus, Fantasie und psychologischem Wissen ist beeindruckend und lesenswert.

Sonntag, 17. Juni 2018

Die Freiheit der Frauen

Nina George: Die Schönheit der Nacht. 314 Seiten. 18,99 €. Knaur

Nina George kenne ich noch als Kolumnistin des Hamburger Abendblattes – ohne sie hätte ich nicht gewusst, dass bei Planten und Blomen im Sommer wunderbare Wasserspiele stattfinden. Später habe ich mit Vergnügen ihre bezaubernden Bücher „Die Mondspielerin“ und „Das Lavendelzimmer“ gelesen, mit dem sie international Erfolg hatte. Nun ist ein neuer Roman von ihr erschienen, den ich natürlich gleich lesen musste. Vor allem wo er wieder in der von mir geliebten Bretagne spielt.-
Die Pariser Verhaltensbiologin Claire und ihr Ehemann, der Komponist Gilles, führen scheinbar ein perfektes Leben, zusammen mit ihrem fast erwachsenen Sohn Nicolas. Und doch fehlt dem Paar das Gefühl, wirklich zu leben und nicht nur zu funktionieren. Jeder der beiden versucht, über Seitensprünge wieder ein Gefühl von Leidenschaft zu gewinnen. Ihren Sommerurlaub verbringen Claire und Gilles mit ihrem Sohn und dessen neuer Freundin Julie in ihrem Haus in der Bretagne. Dort kommen sich die beiden Frauen näher. Die kühle, innerlich wie versteinerte Claire und die lebenshungrige, aber ängstliche Julie sind von einander fasziniert. Während die erfahrene Claire der jungen Frau hilft, ihre Ängste zu überwinden, zeigt diese ihr einen Weg aus übermäßiger Kontrolle und Erstarrung. Die innere Verbindung der Frauen führt zu einer körperlichen Sinnlichkeit, die die Männer am Ende ausschließt - zumindest für einige Zeit.
Der Roman erhält seine Spannung nicht durch die Handlung, sondern indem er die seelischen Zustände der beiden Frauen beschreibt, ihre Suche nach ihrer wahren Identität. Eine Rolle spielt dabei auch die beeindruckende Kulisse der Bretagne, vor allem das Meer.
Nina George schreibt literarisch, poetisch, mit vielen Metaphern. Das ist oft schön, erscheint mir manchmal jedoch bemüht. Diese Ambivalenz empfinde ich auch in Bezug auf den gesamten Roman: Ich habe ihn gerne gelesen und kann die Sehnsucht der Protagonistinnen nach einem freien, authentischem Frauen-Leben durchaus nachvollziehen. Gleichzeitig erscheint mir ihr Problem luxuriös und spezifisch für die Gesellschaftsschicht, der Claire als erfolgreiche Professorin angehört. Trotz dieser (meiner persönlichen) Einschränkung lohnt sich die Lektüre.   

Dienstag, 12. Juni 2018

Gib mir Energie!

Joseph Cardillo: Energie für jede Lebenslage. Wacher, entspannter und durchsetzungsfähiger werden. 274 Seiten. 19.99 €. Scorpio Verlag
Mein persönlicher Energiespender ist morgens erst mal eine Tasse Kaffee. Aber die trägt nicht durch den Tag. So war ich neugierig darauf, welche Tipps der Autor gibt. Joseph Cardillo, ganzheitlicher Psychologe und Meister verschiedener Kampfkünste, hat einen neuen Blick auf die Bedeutung von Energie. Sie ist mehr als nur ein Grad der Wachheit , sie ist die tragende Kraft im Universum. In 12 Kapiteln befasst er sich damit, wie wir diese Lebenskraft ganz konkret erhöhen und für verschiedene Probleme nutzen können. Etwa um Stress oder Aggression abzubauen, die Stimmung zu haben, Konflikte zu lösen, das Gedächtnis zu verbessern und den Körper zu stärken. Die Chancen, das jeweilige Ziel zu erreichen, stehen umso besser, je genauer wir unsere Energie auf den Anlass abstimmen. Angenehm sachlich, gut verständlich und mit passenden Übungen erfährt man, wie sich Energie im Alltag nutzen lässt. Achtsamkeit, Meditation, Musik und Kunstwerke sind dabei meist die Mittel der Wahl. Darüber hinaus wird deutlich, wie sehr Energie tatsächlich unser Leben bestimmt.
Ein kluges, hilfreiches Buch, das man natürlich auch bei einer Tasse Kaffee lesen kann.        

Donnerstag, 7. Juni 2018

Feldforschung


Lynn McTaggart: Das Nullpunkt-Feld. Auf der Suche nach der kosmischen Ur-Energie. 330 Seiten. 9,95 €. Goldmann 
Kann es sein, dass es so etwas wie ein feinstoffliches Feld gibt, dass die unbelebte Materie und die belebte Schöpfung durchdringt? Ist es möglich, dass alles energetisch miteinander verbunden ist? Gibt es damit eine Erklärung für Phänomene wie Hellsehen, Telepathie, Geistheilung und Synchronizität? 
Sich mit solchen Fragen zu befassen, war lange Zeit Esoterikern vorbehalten, von der seriösen Wissenschaft wurde es als Fantasie abgetan. Mit den Ergebnissen der Quantenforschung wird das traditionelle Bild  allerdings erschüttert.
Die englische Wissenschaftsjournalistin Lynn McTaggart hat in 8jähriger Recherche PhysikerInnen, BiologInnen, NeurowissenschaftlerInnen und BewusstseinsforscherInnen befragt und dabei zahlreiche streng wissenschaftliche Experimente zusammengetragen. Die signifikante  Ergebnisse zeigen den Ansatz zu einer neuen Weltsicht. Offenbar kündigt sich ein tiefgreifender Paradigmenwechsel an, der das etablierte Weltbild von Newton und Darwin erschüttert.
McTaggarts versteht sich als Berichterstatterin dieser neuen Erkenntnisse. Als Journalistin gelingt es ihr, auch komplizierte Zusammenhänge für Laien verständlich zu machen. Die ausführliche Beschreibung der zahlreichen Experimente erfordert beim Lesen Geduld – man kann allerdings auch einiges überspringen. Insgesamt ist die Lektüre trotzdem anregend, weil sie auf eine völlig neue Sichtweise unserer Schöpfung aufmerksam macht. Wen das Thema interessiert, dem kann ich dieses Buch nur empfehlen.     

Sonntag, 3. Juni 2018

Heute in einem Jahr...

Alexandra Reinwarth: Das Leben ist zu kurz für später. Stell dir vor, du hast nur noch ein Jahr – ein Selbstversuch, der dein Leben verbessern wird. 231 Seiten. 16,99 €. MVG Verlag

Was würden Sie tun, wenn Sie genau wüssten, dass Ihr Leben in einem Jahr definitiv zu Ende ist? Spontan denkt man vielleicht: „Ich kündige sofort meinen Job“ oder: „Ich mache eine Weltreise“ oder „Ich gebe meine gesamten Ersparnisse für Luxus aus.“ Das Ergebnis von Alexandra Reinwarths Ein-Jahres-Experiment ist sanfter und realistischer, aber trotzdem wirkungsvoll. Für sie führt diese Fantasievorstellung dazu, dass sie erkennt, was ihr wirklich wichtig ist. Zum Beispiel den Menschen, die sie liebt, eine Freude zu machen. Trotz einer guten Partnerschaft allein mit ihrem vierjährigen Kind zu leben. Sich ihren Traum von einer kleinen Bed-and-Breakfast-Pension zu erfüllen. Insgesamt läuft es darauf hinaus: Weniger Angst zu haben, offen zu sein, sich verletzlich zu zeigen  und mehr auf sein Herz zu hören.
Alexandra Reinwart beschreibt ihren Selbstversich sehr persönlich und bezieht dabei ihren Partner und ihre engsten Freundinnen und Freunde mitsamt deren Eigenheiten ein. Das liest sich leicht, zumal sie humorvoll und witzig schreibt.
Ich habe das Buch mit Vergnügen in einem Zug ausgelesen. Entsprechend dem Alter und Umfeld der Autorin ist es zwar eher eine Lektüre für Leserinnen 30+, aber es ist durchaus auch für ältere anregend. Das Experiment kann schließlich jede(r) machen. Und je weniger Jahre noch zu erwarten sind, desto wichtiger ist es.


Kleiner Nachtrag: Dazu gibt es jetzt auch ein illustriertes Büchlein als Arbeitsanleitung:  Unfuck your Life.52 Aufgaben, um endlich im Jetzt anzukommen. 112 Seiten.  9,99 €
Es ist  in 52 Wochen aufgeteilt. Jede enthält eine Aufgabe, die zunächst als Frage zur Selbsterkenntnis gestellt wird. Z.B. "Wollten Sie schon mal jemanden ansprechen und haben es nicht getan?". Die Aufgaben nehmen auf praktische Art die Erkenntnisse der Autorin auf und formulieren sie als persönliche Handlungsimpulse.