Montag, 11. Juli 2016

Kindermund tut Wahrheit kund



Irmgard Keun: Kind aller Länder. 221 Seiten. 17,99 €, Kiepenheuer & Witsch
Irmgard Keuns  Buch „Das kunstseidene Mädchen“ hatte ich vor Jahren mit großem Vergnügen gelesen. So war ich neugierig, als ich in der Verlagsvorschau auf dieses aufmerksam wurde.
Irmgard Keun war in den 1930er Jahren eine vielgelesene Autorin und wurde von bedeutenden Kollegen wie Tucholsky als junges Talent bewundert. Ihre Romane waren Bestseller, anrührend,  hintergründig und charmant geschrieben. Der  literarische Erfolg wurde  durch die Nazi jäh beendet, sie sah sich gezwungen, ins Exil nach Belgien und in die Niederlande zu gehen. Auf dieser Erfahrung beruht der autobiographisch gefärbte Roman. Er handelt vom Schicksal einer Emigrantenfamilie Ende der 30er Jahre. Der Vater, ein  Schriftsteller, zieht mit Frau und Tochter kreuz und quer durch Europa und ist ständig bemüht, Geld und Visa aufzutreiben. Trotz dieser deprimierenden Umstände bringt einen das Buch an vielen Stellen zum Lachen. Irmgard Keun beschreibt die Ereignisse nämlich aus der Perspektive der neunjährigen Tochter Kully. Die macht sich ebenso naiv wie altklug und scharfsichtig ihre Gedanken, etwa so: “Ich kann ja überall herumspringen und lustig sein. Aber Erwachsene brauchen Geld, wenn sie lustig sein wollen. Darum haben sie es viel schwerer als ein Kind.“ Oder „Entweder man liebt seine Eltern, dann ehrt man sie sowieso, oder man liebt sie nicht, dann können die Eltern mit der ganze Ehre verdammt wenig anfangen.“
Stilistisch ist diese Perspektive eine Gratwanderung, die Irmgard Keun nicht immer gelingt. Manchmal äußert sich ihre Protagonistin Kully für eine Neunjährige dann doch etwas zu blumig-literarisch („Die Nacht streute Sternenlichter in unser Abteil“). Man hört die erwachsene Schriftstellerin hindurch.  Trotzdem ist es ein lesenswertes Buch. Als ein Stück Zeitgeschichte und als Vermächtnis einer Schriftstellerin, die Tragik heiter zu beschreiben wusste.

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