Samstag, 28. Januar 2017

Trügerische Idylle



Juli Zeh: Unterleuten. 635 Seiten. 24,99 €. Luchterhand
Ich habe das Buch tatsächlich an einem Wochenende ausgelesen. Und hätte nicht gedacht, dass mich eine Geschichte aus der Brandenburgischen Provinz mit dem Dorf Unterleuten so fesseln würde. Das liegt an der genauen, immer ein wenig spöttischen und trotzdem liebevollen Beschreibung der Romanfiguren: Der alte Kron, ein knorriger Kommunist und sein Gegenspieler Gombrowski, ein Grundbesitzer, der das ganze Dorf beherrscht. Zugezogene Städter, wie die überfürsorgliche Mutter Jule, verheiratet mit dem Vogelschützer Gerhard. Frederic und Linda aus Berlin, er Spieleentwickler, sie Pferdeflüsterin und Powerfrau, die rücksichtslos ihre Interessen durchsetzt. Dazu einige Nebenfiguren wie die Katzenfreundin Hilde und der dubiose Automechaniker Schaller. Juli Zeh beschreibt deren Denkmuster, Gefühle und Verhalten. Verbunden sind die Personen im erbitterten Kampf für und gegen einen Windpark im Dorf, an dessen Planung sich die unterschiedlichen Interessen zeigen. Mit den Konflikten entfaltet sich eine spannende Geschichte um alte Schuld, Unrecht, Untreue, Eifersucht, verpasstes Glück und Illusionen von dörflicher Idylle.
Diese Verflechtung hätte kompliziert werden können, wenn die Autorin nicht einen dramaturgischen Kunstgriff genutzt hätte: Jede Person spricht für sich. Ähnlich wie die Spielfiguren am Münchner Rathaus  erscheint kreisend eine nach der anderen immer wieder im Vordergrund und treibt so die Geschichte aus ihrer Sicht weiter.
Genau beobachtet, mit Humor geschrieben – ein Lesevergnügen. 

1 Kommentar:

  1. Warum denken Menschen aus dem Westen Deutschlands, über Menschen aus dem Osten schreiben zu müssen? Ist es ein fiktiver Roman oder beruht er auf Tatsachen? Wird dieser Roman unterschiedlich bewertet werden, je nach Alter und Sozialisierung? Wie ich bei Wikipedia gelesen habe, lebt Frau Zeh in Brandenburg auf dem Land. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sie nicht objektiv berichten kann. Es mag für Menschen im Westen, amüsant zu beobachten und zu lesen sein und auch für die Generation, die sich an die DDR nicht bewusst erinnern kann. Ich selbst, im Osten aufgewachsen, habe mich eher für Menschen im Westen interessiert. Umgekehrt habe ich das im persönlichen Dialog bisher selten erfahren. Mehr Demut für unser Leben würde uns allen guttun. Wir im Osten mussten oder sollten den Westen mit allen Gesetzen akzeptieren und respektieren. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", wurde dabei am wenigsten beachtet. Genug Menschen haben aus unserer Arglosigkeit Kapital geschlagen, weil wir die Menschen im Westen einen Vertrauensvorschuss gaben und, bildlich gesprochen, auf ein Podest stellten. Egal wo wir 1989 gerade "standen" und wie alt wir waren, unsere Aufgabe war, uns neu zu orientieren. Manche haben damals eine "falsche" Entscheidung getroffen. "Zugereiste" haben einen schwereren Stand auf dem Land. Das war schon immer so. Ich glaube, das ändert sich jetzt allmählich. Ich hoffe und wünsche mir, dass dies Frau Zeh in ihrem Buch berücksichtigt hat. Das war meine intuitive Reaktion auf das Buch und Ihre Rezension, liebe Frau Dr. Wlodarek. Vielleicht bin ich milder gestimmt, wenn ich das Buch gelesen habe, denn ich habe großen Respekt für Sie. Herzliche Grüße!

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